Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
der Lascari Unterricht bekommen?«, fragt sie, und sie spürt seit Langem einmal wieder so etwas wie Aufregung, wie Freude. Das Theater, die fremden Leben, die man annehmen kann auf der Bühne; das wird helfen zu vergessen.
»Wie habt ihr das denn hinbekommen?«
Gaston holt tief Luft. »Aber Leonie – weißt du das denn nicht? Sie ist doch deine Verwandte!«
Lascari! Leonie fällt es wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Trotz der Ähnlichkeit der Namen – Lasker und Lascari – war sie bisher nicht daraufgekommen, dass diese Frau, ebenso wie dieSchauspielerdynastie Laskarow in Berlin, zu der Verwandtschaft von Isabelle, zu ihrer Verwandtschaft gehören könnte.
»Meine Verwandte!«
»Die Tochter von Isabelles zweitem Bruder, den es von der Türkei nach Wien verschlagen hat. Erinnerst du dich?«, bestätigt Gaston. »Ich habe dir davon erzählt.«
Jetzt begreift Leonie. Sie soll bei dieser Frau nicht nur Unterricht nehmen – sie soll bei ihr den zweiten Buchstaben finden! Die ganze Tragweite dieser Sache geht ihr auf.
»Wir haben schon ein bisschen vorgearbeitet, was Wien angeht«, fährt Gaston fort und baut aus seinen Händen eine Pyramide, die er sich vors Gesicht hält. Die Lider hat er gesenkt. »Aber da wir ja nicht wussten, wann du kommst, konnten wir natürlich noch nicht alles verbindlich machen. Jedenfalls weiß Frau Lascari, dass du ihre Schülerin sein wirst.«
»Seit wann habt ihr die Verbindung zu ihr?«
Jetzt schmunzelt Gaston. »Erinnerst du dich, was ich dir damals erzählt habe, als ich dich auf dem Bahnhof von Port Bou zur Rückkehr nach Hermeneau bewegen wollte? Von Isabelles kabbalistischen Berechnungen?«
Sie nickt.
»Und weißt du noch, dass es schon einmal ein junges Mäd - chen gab, das auserwählt schien, die drei Buchstaben zu finden? Der Plan scheiterte durch den Ausbruch des Kriegs 1914. Frankreich und Österreich kämpften auf verschiedenen Seiten und das Mädchen konnte nicht zu uns gelangen. Die Chance war vertan. Dies Mädchen war Felice Lascari.«
»Dann ist also sie so etwas wie meine Vorgängerin?«, sagt Leonie nachdenklich. »Weiß sie, mit welcher Mission ich zu ihr komme?«
»Nein«, erwidert Gaston und presst die Finger gegen die Stirn. »Damals, das ist nun fast zehn Jahre her, hatten wir sie gerade nach Hermeneau eingeladen. Isabelle wollte sie behutsam einweihen.« Er seufzt. »Du hast ja an dir selbst erlebt, dass es nicht einfach ist, das plausibel erscheinen zu lassen, was der Auftrag ist.«
Leonie nickt. Oh ja. Das weiß sie nur zu gut.
»Wie gesagt, dann war Krieg. So hat sie nichts erfahren von dem, was wir von ihr wollten. Und per Brief konnten wir es schließlich auch nicht erklären; Isabelle weiß ja nicht einmal, ob Felice Lascari die Familiengeschichte kennt. Aber nun haben wir den Faden wieder aufgenommen, haben die Schauspielerin – eine große Dame inzwischen – an unsere alten Kontakte erinnert und sie gebeten, eine Privatschülerin, noch dazu eine Verwandte, anzunehmen.« Er lächelt, aber seine Augen sind ernst. »Deine Aufgabe wird sein, ihr die Mission verständlich zu machen und den zweiten Buchstaben, das Mem, zu finden und hierherzubringen. Es muss in ihrer Nähe sein. Das ist kein beliebiger Gegenstand, den jemand veräußert, wenn er zu den Laskers gehört.«
»So hat es Isabelle erklärt«, bestätigt Leonie. »Und sie war gleich einverstanden, mich als Schülerin zu nehmen?«
Gaston zögert. »Nun, gleich wohl nicht. Ich musste erst ... etwas überzeugender werden ... «
Sie begreift. Die Überzeugungsarbeit hat dann wohl Gastons Scheckbuch geleistet.
»Und nun?«, sagt sie und steht auf. »Werde ich bald fahren?«
»Wir ... müssen erst die Antwort abwarten!«, erwidert Gaston gedehnt. »Überstürze nichts, Leonie, Liebes. Wir sind glücklich, wenn du noch ein bisschen bei uns bist. Ein ganzes Jahr steht dir zur Verfügung für die Suche ... !«
»Nein«, sagt sie. »Ich denke, es muss schnell gehen.« (Es wird schwer, so schwer.)
»Gewiss doch«, sagt Gaston beschwichtigend. »So schnell es nur geht. Möchtest du vielleicht jetzt zu Isabelle? Ich glaube, sie ist in der Küche.«
6
Diese Küche hat sie geliebt, damals im Sommer. Diesen riesi - gen Raum mit dem großen weiß gescheuerten Tisch in der Mitte, den zwei Eisschränken, den beiden Herden (einen für Holz- und Kohlefeuerung, der zweite mit Gas zu beheizen), mit den blitzenden Töpfen und Pfannen, Kellen, Schöpflöffeln und Rührgeräten, den Borden voller
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