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Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2

Titel: Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
Autoren: PeP eBooks
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Verzierungen fest. Aus meiner Kehle kommt nur ein Röcheln. Er glaubt sich seiner Sache sicher, duckt nur noch leicht meinen Rücken nach unten. »Genug gezappelt jetzt! Halt still. Wenn du nicht parierst, schmeiß ich dich gleich in den Kanal!«, keucht er und beugt sich über mich. »So kriegst du erst noch ein bisschen Spaß ab.« Ich bin wie gelähmt, fühle seinen Körper wie den eines starken Tiers auf dem meinen; er schiebt mir mit dem Knie die Beine auseinander.
    »Gleich, du kleine Ratte! Gleich bin ich so weit! Wart’s nur ab!«
    Und dann ... dann höre ich seinen Aufschrei, halb wütend, halb fassungslos, und etwas rollt, gleitet, rutscht über mich hinweg. Ein Aufschlag, wie wenn man einen Sack ins Wasser schmeißt. Plätschern. Stille.
    Ich richte mich langsam auf, noch unfähig zu begreifen, was geschehen ist. Drehe mich um.
    Vor mir steht der Bettler; es ist das erste Mal, dass ich ihn nicht am Boden hocken sehe. Er ist hoch aufgeschossen, knochig. Seine Hände – große, schmutzige, kräftige Hände mit langen Fingern – sind erhoben, als wolle er ein Gebet sprechen. Mein Gott, er hat ihn an den Beinen gepackt und über mich weg ins Wasser gekippt!
    Ich rutsche an dem Geländer zu Boden, meine Knie geben einfach nach.
    Und der alte Mann tut den Mund auf und sagt: »Es steht geschrieben, dass du sollst heiligen den Sabbat. Aber der weise Rabbi und Lehrer Moses Isserles – mege eingeschrieben sein sein Name und besiegelt – lehrt, dass du derfst retten a Mensch oder a Tier auch am Sabbat.«
    Und dann geht er davon, mit weiten, raumgreifenden Schritten, geht hinüber zur Mazzesinsel, bevor ich noch ein Wort heraus brin gen kann.
    Seine Geige bleibt am Boden liegen.
    Vorsichtig ziehe ich mich am Geländer hoch und werfe einen Blick auf das dunkle Wasser da unten.
    Es scheint ganz ruhig.

39
    Ich finde keinen Schlaf mehr diese Nacht. Gezittert habe ich erst, als ich zu Hause war.
    Kühle die Quetschung an meinem Hals; meine Stimme klingt immer noch rau und heiser. Gehe zwischen meinen Zimmern hin und her und versuche zu begreifen, was geschehen ist.
    Ist der fortgeschwommen und irgendwo an Land gekrochen, dies Scheusal? Ist er ertrunken? Ich weiß es nicht. Je länger ich darüber nachdenke, umso unglaubwürdiger kommt mir das alles vor. Ein alter Bettler, der einen ausgewachsenen Mann an den Beinen übers Geländer befördert ... Wenn ich Isabelle wäre, würde ich vielleicht in ihm so etwas wie einen Boten des Himmels sehen und in dem anderen – ja, was? Das Opfer, das notwendig war, um mich selbst ... freizukaufen? Den Tod zu überwinden, der dicht neben mir stand?
    Meine Zähne schlagen aufeinander. Ich trinke Wasser gleich am Wasserhahn und habe Schwierigkeiten zu schlucken.
    Dann erfasst mich eine völlig sinnlose Furcht: Ist das Zeichen überhaupt noch da? Ich öffne den Koffer, reiße die Hälfte der Sachen heraus, suche. Ja, natürlich. Da ist die abgeschabte Geldtasche. Liegt sanft und glänzend darin. Gut, gut.
    Schließlich lege ich mich in Kleidern aufs Bett, dicht an die Wand, an die Stelle, wo vorgestern noch der zerzauste Kopf von Anton Rofrano auf meinem Kissen war, falte die Hände und schließe die Augen, aber an Schlaf ist nicht zu denken. Immer wieder fahre ich hoch, weil ich das Gefühl habe, eine Hand packt mich an der Kehle.
    Dann stehe ich auf, wasche mich, ziehe mich um. Bin reisefertig. Es wird auch schon dämmrig.
    Ich will fort, nichts weiter als fort.
    Endlich klopft es an der Tür. »Es ist angeschirrt, gnä’ Fräulein.«
    Joseph holt mich ab. Ich stehe fröstelnd in der Morgenfrische und atme noch einmal die Düfte des kleinen Parks, während er meinen Koffer hinten auf der Kutsche verstaut.
    Die Tür des Palais öffnet sich. Auf der Schwelle erscheint Felice Lascari. Das erste Licht des Tages erhellt ihr schmales schönes Gesicht. Sie trägt einen rauchfarbenen Morgenmantel und sieht gelöst und sanft aus. Sie ist ungeschminkt.
    »Ich wollte dir gute Reise wünschen, Leonie«, sagt sie. »Anton schläft. Aber er würde dir sicher dasselbe wünschen.«
    Plötzlich zieht sie mich mit einer heftigen Umarmung an sich. Ich spüre diesen hageren, durchtrainierten Körper, den ich gestern Abend gemeinsam mit Anton aus der Wanne gehoben habe. Er ist ganz dicht an meinem. Und direkt an meinem Ohr flüstert sie: »Danke. Du hast mir das Leben zurückgegeben. Jedenfalls für ein paar Jahre.«
    Ich antworte nicht. Sie tritt zurück. Schließt die Tür hinter sich.
    Ich steige
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