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Drei Männer im Schnee

Drei Männer im Schnee

Titel: Drei Männer im Schnee
Autoren: Erich Kästner
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steckte die Zeitung wieder ein und segelte in die Küche.
    Als Doktor Hagedorn heimkam, dämmerte es bereits. Er war müde und verfroren. »Guten Abend«, sagte er und gab ihr einen Kuß.
    Sie stand am Waschfaß, trocknete rasch die Hände und reichte ihm den Brief der Putzblank-Werke.
    »Bin im Bilde«, sagte er. »Ich las es in der Zeitung. Wie findest du das? Ist das nicht, um aus der nackten Haut zu fahren? Mit der Anstellung war es übrigens wieder Essig.
    Der Mann geht erst in einem halben Jahr nach Brasilien.
    Und den Nachfolger haben sie auch schon. Einen Neffen vom Personalchef.«
    Der junge Mann stellte sich an den Ofen und wärmte die steifen Finger.
    »Kopf hoch, mein Junge!« sagte die Mutter. »Jetzt fährst du erst einmal zum Wintersport. Das ist besser als gar nichts.«
    Er zuckte die Achseln. »Ich war am Nachmittag in den Putzblank-Werken draußen. Mit der Stadtbahn. Der Herr Direktor freute sich außerordentlich, den ersten Preisträger persönlich kennenzulernen, und beglückwünschte mich zu den markanten Sätzen, die ich für ihr Waschpulver und ihre Seifenflocken gefunden hätte. Man verspreche sich einen beachtlichen Werbeerfolg davon. Ein Posten sei leider nicht frei.«
    »Und warum warst du überhaupt dort?« fragte die Mutter.
    Er schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Ich machte dem Direktor einen Vorschlag. Seine Firma solle mir statt der Gratisreise eine kleine Barvergütung gewähren.« Die alte Frau hielt mit Waschen inne. »Es war das übliche Theater«, fuhr er fort. »Es sei unmöglich.
    Die Abmachungen seien bindend. Überdies sei Bruckbeuren ein entzückendes Fleckchen Erde. Besonders im Winter. Er wünsche mir viel Vergnügen. Ich träfe dort die beste internationale Gesellschaft und solle ihm eine Ansichtskarte schicken. Er habe keine Zeit, im Winter zu reisen. Er hänge an der Kette. Und ich sei zu beneiden.«
    »Es war das übliche Theater?« fragte die Mutter. »Du hast das schon öfter gemacht?«
    »Ich habe dir nichts davon erzählt«, sagte er. »Du zerbrichst dir wegen deiner paar Groschen den Hinterkopf! Und ich gondle in einem fort quer über die Landkarte. Gratis und franko nennt man das! Jawohl, Kuchen! Jedesmal, bevor ich losfahre, wandert die Witwe Hagedorn stehenden Fußes zur Städtischen Sparkasse und hebt fünfzig Mark ab. Weil sonst der Herr Sohn kein Geld hat, unterwegs eine Tasse Kaffee oder ein kleines Helles zu bezahlen.«
    »Man muß die Feste feiern, wie sie fallen, mein Junge.«
    »Nicht arbeiten und nicht verzweifeln«, sagte er. »Eine Variation über ein altes Thema.« Er machte Licht. »Diese Putzblank-Werke gehören dem Tobler, einem der reichsten Männer, die der Mond bescheint. Wenn man diesen alten Onkel einmal zu fassen kriegte!«
    »Nun weine mal nicht«, meinte die Mutter. »Oder wenn wenigstens du auf meine Fahrkarte verreisen könntest! Du bist dein Leben lang nicht über Schildhorn und Werder hinausgekommen.«
    »Du lügst wie gedruckt«, sagte die Mutter. »Mit deinem Vater war ich vor dreißig Jahren in Swinemünde. Und mit dir 1910 im Harz.
    Als du Keuchhusten hattest. Wegen der Luftveränderung. Ferner möchte ich dir mitteilen, daß wir noch heute abend ins Kino gehen.
    Es läuft ein Hochgebirgsfilm. Wir nehmen zweites Parkett und werden uns einbilden, wir säßen auf dem Matterhorn.«
    »Ich nehme die Einladung dankend an«, entgegnete er. »Und wenn ich jemals König von England werden sollte, verleihe ich dir den Hosenbandorden. Das soll meine erste Regierungstat sein. Eventuell erhebe ich dich in den erblichen Adelsstand. Das hängt allerdings davon ab, was es heute abend zu essen gibt.«
    »Sülze mit Bratkartoffeln«, sagte die Mutter.
    »Oha!« rief Herr Doktor Hagedorn. »Dann wirst du sogar Herzogin von Cumberland. Das ist eine alte, gute Familie. Einer ihrer Vorfahren hat die englische Sauce entdeckt.«
    »Vielen Dank«, sagte Frau Hagedorn. »Werden Majestät den blauen Anzug mitnehmen?«
    »Natürlich«, meinte er. »Es ist einer der glänzendsten Anzüge, die es je gegeben hat.«
    Später zog die Mutter, vom Fensterriegel bis zum oberen Türscharnier, eine Leine und hängte die Oberhemden des siebenfachen Preisträgers zum Trocknen auf. Dann aßen sie, am Küchentisch, im Schatten der tropfenden Hemden, Sülze mit Bratkartoffeln. Dann brachte die alte Dame dem Lehrer Franke Tee, Teller und Besteck. Und schließlich gingen Mutter und Sohn ins Kino. Es lag in einer verschneiten Seitenstraße und nannte sich großspurig
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