Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drei Männer im Schnee

Drei Männer im Schnee

Titel: Drei Männer im Schnee
Autoren: Erich Kästner
Vom Netzwerk:
»Verstehst du das?« fragte er den kleinen gelben Kanarienvogel. »Ich auch nicht.«
    In Toblers Arbeitszimmer sah es beängstigend aus. Neben den Neuanschaffungen lagen Gegenstände, die der Geheimrat auf dem Oberboden in staubigen Truhen und knarrenden Schränken entdeckt hatte. Ein Paar verrostete Schlittschuhe. Ein warmer Sweater, der aussah, als habe er die Staupe. Eine handgestrickte knallrote Pudelmütze. Ein altmodischer Flauschmantel, graukariert und mindestens aus der Zeit der Kreuzzüge. Eine braune Reisemütze.
    Ein Paar schwarzsamtene Ohrenklappen mit einem verschiebbaren Metallbügel. Ein Spankorb, der längst ausgedient hatte. Und ein Paar wollene Pulswärmer, die man seinerzeit dem Leutnant der Reserve in den Schützengraben geschickt hatte.
    Tobler konnte sich kaum von dem Anblick losreißen. Schließlich ging er ins grüne Eckzimmer hinüber, in dem Johann verdrossen die Anzüge probierte, die ihm vor vier Tagen der beste Zuschneider Berlins angemessen hatte. Die letzten kleinen Schönheitsfehler waren beseitigt worden, und der Geschäftsführer der weltbekannten Firma, der sich persönlich in die Grunewaldvilla bemüht hatte, ließ es an begeisterten Zwischenrufen nicht fehlen.
    Johann stand wie ein unschuldig Angeklagter vor demPfeilerspiegel. Er ließ sich nacheinander die Jacketts, den Smoking, die Skijoppe und den Frack anziehen, als seien es lauter Zwangsjacken.
    Als der biedere grauhaarige Diener zum Schluß im Frack dastand, breitschultrig und schmalhüftig, riß es den Millionär hin.
    »Johann«, rief er, »Sie gleichen einem Botschafter! Ich glaube nicht, daß ich mich je wieder trauen werde, mir von Ihnen die Schuhe putzen zu lassen.«
    Der Diener wandte sich um. »Es ist eine Sünde, Herr Geheimrat. Sie werfen das Geld zum Fenster hinaus. Ich bin verzweifelt.«
    Der Schneider meinte, das sei ihm, wenn man ihm die Bemerkung gestatten wolle, noch nicht vorgekommen.
    »Sie reden, wie Sie es verstehen«, sagte der Diener. Das konnte der Herr nicht abstreiten, und dann empfahl er sich.
    Als er draußen war, fragte Johann den Geheimrat: »Gibt es in Bruckbeuren eigentlich Kostümfeste?«
    »Selbstverständlich. In solchen Wintersporthotels ist dauernd etwas los.« Johann zog den Frack aus.
    »Wollen Sie sich denn kostümieren?« fragte Tobler erstaunt. »Als was denn?«
    Johann zog die Livreejacke an und sagte sehnsüchtig: »Als Diener!«
    Nach dem Abendessen bat der Geheimrat die anderen, ihm zu folgen. Seine Tochter, Frau Kunkel und Johann begleiteten ihn zögernd. Er öffnete die Tür des Arbeitszimmers und schaltete das Licht ein. Anschließend herrschte minutenlanges Schweigen. Die Schreibtischuhr tickte.
    Die Kunkel wagte sich als erste ins Zimmer. Langsam näherte sie sich dem violett gewesenen Anzug aus der Fruchtstraße. Sie befühlte ihn so vorsichtig, als fürchte sie, er könne beißen. Sie schauderte und wandte sich den gestreiften Flanellhemden zu. Von einem der Stühle hob sie die steifen Manschetten und blickte entgeistert auf die vierblättrigen Manschettenknöpfe. Die gestärkten Vorhemden gaben ihr den Rest. Sie fiel ächzend in einen Klubsessel, setzte sich wuchtig auf die dort liegenden Schlittschuhe, fuhr gehetzt in die Höhe, blickte verwirrt um sich und sagte:
    »Das überlebe ich nicht!«
    »Halten Sie das, wie Sie wollen!« meinte Tobler. »Aber vorher packen Sie, bitte, sämtliche Sachen in den Spankorb!«
    Sie warf die Arme empor. »Niemals, niemals!«
    Er ging zur Tür. »Dann werde ich eines der Dienstmädchen rufen.«
    Frau Kunkel gab sich geschlagen. Sie zerrte den Korb auf den Tisch und packte.
    »Die Pudelmütze auch?«
    Der Geheimrat nickte roh.
    Mehrmals schloß sie sekundenlang die Augen, um nicht zusehen zu müssen, was sie tat.
    Hilde sagte: »Übermorgen bist du wieder daheim, lieber Vater.«
    »Wieso?«
    »Sie werden dich hochkantig hinauswerfen.«
    »Ich bin froh, daß ich mitfahre«, sagte Johann. »Vielleicht sollten wir uns Revolver besorgen. Wir könnten uns dann besser verteidigen.«
    »Macht euch nicht lächerlich«, meinte Tobler. »Den Preis, den ich gewann, konnte ebensogut einer gewinnen, der zeitlebens so angezogen ist, wie ich mich zehn Tage lang anziehen werde! Was wäre dann?«
    »Den würfen sie auch hinaus«, sagte der Diener. »Aber der würde sich nicht darüber wundern.«
    »Nun habt ihr mich erst richtig neugierig gemacht«, erklärte der Geheimrat abschließend. »Wir werden ja sehen, wer recht behält.«
    Es klopfte.
    Isolde,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher