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Dreck: Roman (German Edition)

Dreck: Roman (German Edition)

Titel: Dreck: Roman (German Edition)
Autoren: David Vann
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geschlossenen Augen. Er versuchte, sich von seinen Beinen führen zu lassen, von seinem Steifen führen zu lassen, über die Furchen dem Mond entgegen. Und die Füße fühlten sich tatsächlich leichter an. Er wurde schneller, die Erde ein Geriesel weiter unten, die Luft zunehmend präsent, und vielleicht war das der Schlüssel. Nicht irgendein Erdmagnetismus, sondern die Anziehungskraft der Luft. Die Luft war das Medium, nicht die Erde.
    Er versuchte, seinen Körper zu verlassen, versuchte, sein Bewusstsein nach außen zu verlagern, sich selbst aus weiter Ferne zu betrachten. Weiße Knochenbeine, die liefen, zum Leben erweckt wie die Baumstämme.
    Sein Atem aber zu hastig, er fesselte ihn an diese Welt, hielt ihn fest, wo er sich doch lösen wollte. Hohes Unkraut, das an ihm zerrte, nach ihm schlug, eine Schlinge zwischen den Zehen, und beinahe wäre er hingefallen. Er musste die Augen aufmachen und ausweichen, um das ärgste Gewächs herum. Und das war das Problem. Stets eine Unterbrechung. Wann immer er einem Ziel nahe kam.
    Also hielt er an. Hörte auf zu laufen, hörte auf zu streicheln. Er versuchte, niemals zu kommen, weil er gelesen hatte, der Mann verliere dabei seine Kraft. Aber er wollte so gern kommen. Und er hatte es satt, dass es immer nur seine Hand war.
    Galen legte sich in die Kuhle zwischen zwei Furchen, er lag auf der Seite, eingerollt. Keuchend, schweißnass, die Luft kühl auf seiner Haut. Stirn auf der Erde, imDreck. Die Welt nur eine Illusion. Diese Plantage, die langen Baumreihen, bloß ein Seelenraum, hier, um an der Illusion des Selbst und der Erinnerung festzuhalten. Fahrten mit seinem Großvater auf dem alten grünen Traktor, das Knattern des Motors. Der Panamahut seines Großvaters, braunes Hemd, Weinfahne, Riesling. Der spürbare Vorwärtsdrang des Traktors, das Schlingern, wenn die Vorderräder über eine Furche fuhren. Alles eine Übung, um die Grenzen zu spüren, das Hinübergleiten, nichts davon wirklich. Die einzige Frage war, wie er über die Ränder des Traums gleiten konnte. Die Erde fühlte sich wirklich an wie Erde.
 
    Galen wachte ein ums andere Mal auf in der Nacht, zitternd. Der Mond ein Reisender, der seitlich durch die Sterne krebste. Galen auf der Oberfläche der Erde. Der Planet nicht glaubwürdig, so wie er sich drehte, Tausende von Meilen pro Stunde. Wenn das stimmte, müsste man es hören können. Ein Brummen oder Vibrieren. Das Erdreich jedoch war lautlos und fühlte sich zu leicht an, als wäre die Kruste gerade mal einen Meter tief. Im Grunde wollte Galen, dass die Kruste aufbrach, damit er hineinfallen konnte, Tausende von Meilen durch leeren Raum zum Erdmittelpunkt, immer schneller, und dann am Mittelpunkt vorbei auf die andere Seite, um schließlich von der Schwerkraft gebremst zu werden. Bis er die Unterseite der anderen Seite der Welt erreichte und sie mit den Fingerspitzen streifte und dann zurückfiel. Nie würde er Boden unter die Füße bekommen, und das wäre gut.
    Galen fror so heftig, dass er mit den Zähnen klapperte. Aber er stand nicht auf. Er schlief immer wieder ein, und die Nacht war endlos. Jede Nacht ein Leben, und immer das Warten auf das Ende.
    Als es schließlich kam, als der Himmel heller, das Schwarz blau wurde, war Galen noch nicht bereit. Zu schnell würde sich die Luft aufheizen, würde sich die Erde aufheizen, würde sich der Tag wiederholen. Tee mit seiner Mutter und der Besuch bei seiner Großmutter und der Besuch von Tante und Cousine. Galen hatte das Gefühl, er würde es nicht noch einmal durchstehen.
    Er musste so dringend, dass er schließlich aufstand und in hohem Bogen einen Baum anpinkelte, dann steckte er sich die Daumen unter die Achseln und sandte ein lautes Kikerikiiiii ins Morgengrauen. Stolzierte nackt umher, flappte mit den Armen, wärmte sich, begrüßte den Tag. Sein Magen eine leere Grube, ein Loch, das ihn von innen her schrumpfen ließ. Aber er stolzierte weiter, joggte zwischen den Bäumen, dann zum Haus. Stellte sich unter das Fenster seiner Mutter, krähte so laut er konnte und stampfte im Gras.
    Verdammt noch mal, Galen, hörte er endlich. Jetzt bin ich wach, und du weißt genau, dass ich nicht wieder einschlafen kann.
    Galen spürte, wie ein Lächeln, ein echtes, sein Gesicht erfasste, wie die Wangen sich von allein hochzogen. Nichts Verkümmertes, sein Gesicht nicht verzerrt. Er hörte auf zu krähen, ging zum Feigenbaum, um seine Kleider zu holen, und dann durch die Kammer ins Haus. Leise die Treppe hinauf
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