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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
Autoren: Redline Wirtschaft
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niemand. Kein Teil der Gesellschaft mehr zu sein, die als normal gilt, ist das Schlimmste für diejenigen, die keine Arbeit finden, behindert sind, mit Niedriglohnjobs eine Familie durchbringen oder aus dem Ausland kommen, um in Deutschland ihr Glück zu versuchen. Oder für diejenigen, die auch das alles hinter sich gelassen haben und auf der Straße leben, draußen auch aus den sozialen Netzwerken und Hilfsmechanismen. Denn wer draußen ist, wird für den Rest der Gesellschaft schier unsichtbar.
    Ein wenig mehr Wahrnehmung für diese Menschen zu entwickeln, ein wenig mehr Verständnis für ihre Situation, ihren Alltag, ihre Version der Realität in der Leistungsgesellschaft – das sind die Aufgabe und das Ziel der Autoren dieses Bandes. Ihre Reportagen wirken, indem sie für den Leser erfahrbar machen, was unvorstellbar erscheint: ein Leben am Rande der Gesellschaft. Wer aufmerksam liest, wird in diesen kurzen Einblicken sehen, dass draußen zu sein normaler ist, als er erwartet. Gesellschaft ist schließlich nichts Abstraktes, sondern die Summe ihrer Mitglieder. Jeder einzelne Mensch ist Gesellschaft. Daher ist auch kein Mensch jemals wirklich »draußen«. Er wird nur zum Außenseiter, zur Randgruppe, zum Schwachen gemacht – von den Normen, welche die Leistungsgesellschaft sich selbst aufgestellt hat. Die Menschen »draußen« sind mitten unter uns. Wir sehen sie nur nicht. Dieser Band soll dazu beitragen, sie sichtbar zu machen. Sie aus der Statistik und dem Armutsbericht herauszuholen als Bürger, die weniger Chancen und Glück hatten als andere, aber ihre Suche nach Glück und Erfüllung, innerhalb oder außerhalb der Normgesellschaft, nicht aufgegeben haben. Denn ob reich oder arm, am Ende zählt für den Einzelnen, ob er ein zufriedener Mensch ist. Und zufrieden ist, wer Achtung und Respekt erfährt – unabhängig vom Einkommen. Zufriedenheit lässt sich nicht messen, sondern nur erleben und erfühlen. Aber es ist die eigentliche Wahrheit.
    Felicia Englmann (Hrsg.)
München, im November 2012

Deutschland umsonst – Von Michael Holzach
    Die Reportage von Michael Holzach ist ein Klassiker des deutschen Journalismus. Im Jahr 1982 wanderte er zu Fuß und ohne Geld von Hamburg an den Bodensee und zurück, nur begleitet von seinem Hund Feldmann. Holzach war Reporter bei der Zeit und schrieb über soziale Themen. Sein Buch Deutschland umsonst. Zu Fuß und ohne Geld durch ein Wohlstandsland (Hoffman & Campe), aus dem hier folgende Auszug stammt, erzählt davon. Als der ungewöhnliche Reisebericht 1983 verfilmt werden sollte, stürzte Feldmann in Dortmund-Dorstfeld in die Emscher. Michael Holzach sprang ihm nach und ertrank. Er wurde 36 Jahre alt. In seinem Buch nennt er die Emscher »mein Totenreich«.
    Erleichtert lasse ich die Beine fliegen, der Rucksack tanzt mir auf dem Rücken, Feldmann schießt aufgekratzt durch das Bergische Land. Es geht durch enge, geduckte Täler, über kleine, gedrungene Hügel, durch Wälder und Felder. Tiefe Wolkenbänke entladen sich immer wieder mit solcher Heftigkeit, dass mir das Wasser aus dem Bart läuft. Dann hellt es wieder auf, die Wälder beginnen zu schwitzen und dampfen in dichten Nebelschwaden die Nässe aus sich heraus. Laut Bibel hat die Sintflut vierzig Tage gedauert – diesmal scheint es der liebe Gott in der halben Zeit zu schaffen, denn das Land ertrinkt. Die Kühe stehen bis zum Euter im Morast, der einmal Weide war, feuchtes Getreide läßt die Köpfe schwer hängen, schwarze Heuhaufen faulen zu Kompost, überreife Wiesen sind längst fällig für den ersten Schnitt – es muss bald Juli sein!
    In den Gärten der Bauern stehen Pfützen, groß wie Seen, die grünen Erdbeeren liegen im Dreck, die Kirschen platzen unreif an den Bäumen. Ein Anblick des Jammers. Wie sehr habe ich mich aufs Erdbeer- und Kirschenklauen gefreut. Allein die Johannisbeeren schaffen es, weiß der Himmel wie, auch ohne Sonne süß zu werden. Von ihnen vor allem ernähre ich mich tagelang, sie geben zwar wenig Kraft, dafür aber genügend Vitamine, um mir in diesem Wetter die Grippe vom Hals zu halten. Bei Übersetzig überquere ich die Sieg. Auf der Brücke reizt es mich sehr, einen hohen Regenbogen in den Fluß zu pinkeln. Wegen des Hochwassers lass ich es dann doch lieber bleiben, denn aus mir soll der Tropfen nicht kommen, der das Gewässer zum Überlaufen bringt. Dafür hebt Feldmann, als sei’s Gedankenübertragung, hier über der Sieg zum ersten Mal in seinem Leben das Bein. Statt
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