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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
Autoren: Redline Wirtschaft
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geworden, zum Vagabundenalltag, wie Regen, nasse Füße und talgiger Zahnbelag. Mein Weg ist inzwischen mit Routine gepflastert, weg ist das Kribbeln der täglichen Ungewissheit, die gespannte Erwartung des Abenteuers, das hinter jeder Kreuzung lauern könnte, weg ist auch das Glücksgefühl beim Anblick eines Tellers mit Dickmilch und die Verzweiflung, wenn ich irgendwo zurückgewiesen werde. Meine monatelange Wegerfahrung hat mich abgebrüht und ausgekocht; nichts kann mich mehr so recht erschüttern, weder die Haushälterin des Pfarrers in Weilmünster, die, statt mir etwas zu essen zu bringen, die Polizei alarmiert, noch die gute Oma Keller aus Obernhain im Taunus, von der ich ungefragt »Grießklößsche mit Ädbeern« nach einer kräftigen »Gemüsesupp« bekomme – es ist, als sei meine Empfindungsfähigkeit betäubt, gute und schlechte Erfahrungen nehme ich fast gleichgültig hin, das Besondere gibt es nicht mehr, nichts kann mich mehr so recht aus dem Tritt bringen, stumpfsinnig trotte ich voran.
    Was habe ich mich noch vor zwei Wochen über die Parfumschwaden der Königsallee in Düsseldorf ereifert und wie vergleichsweise gelassen ertrage ich nun die duftigen Rosenhecken der Heinrich-von-Kleist-Straße in Bad Homburg. Es ist eine stinkreiche Gegend, wo sich die herrschaftlichen Villen hinter haushohem Gebüsch verstecken, als hätten sie ein schlechtes Gewissen. Wer hier etwas haben will, muss sich erst einmal tief hinabbeugen, denn anders erreicht man die in Kniehöhe angebrachten Klingelknöpfe an den Eingangstoren nicht. Namen stehen nirgends, dafür geheimnisvolle Initialen. D. SCH. steht bei meinem ersten Kunden. »Hallo, wer ist da«, kommandiert es aus dem Sprechautomaten. »Hallo, ich bin auf der Wanderschaft und wollte fragen, ob ich Ihnen vielleicht für ein Stück Brot zur Hand gehen kann.« »Es ist genug Personal im Haus«, antwortet die weibliche Stimme und legt auf.
    Beim Nachbarn, einem gewissen Dr. V, liegt die Klingel etwas höher, aber direkt daneben starrt mich ein Fernsehauge an. Automatisch fahre ich mir durchs wilde Haar. Kurz nachdem ich gedrückt habe, leuchtet ein kleines rotes Lämpchen auf. Achtung Aufnahme. Ich mache mein freundlichstes Gesicht und lege los: »Guten Tag, ich bin auf der Wanderschaft und …«, das Licht verlöscht, Ende der Sendung. Auch von N. B., C. Z. und A. B. ist nichts zu holen. Unbeeindruckt wechsle ich die Straße und versuche im Philosophenweg mein Glück. Dort hat Dr. Baumstark keine Hemmungen, seinen Namen in großen Lettern an seine Privatklinik zu schreiben. Aber die Küchenchefin fertigt mich eiskalt vor dem Hintereingang ab: »Wenn Sie was zu essen haben wollen, dann gehen Sie doch in den Laden und holen sich was.« Danke für den Tipp.
    Unten in der Innenstadt gibt es genug Läden. Wo hole ich mir nun was? Beim Metzger ist zu wenig Kundschaft und zu viel Bedienung, da würde ich sofort auffallen. Im Supermarkt ist zwar viel Betrieb, aber dort habe ich Angst vor den Hausdedektiven und Videospionen. Bleibt nur Kaiser’s Kaffeegeschäft, auf Schokolade hab ich ohnedies am meisten Appetit, fast mehr noch als auf gebratene Lammkeule mit Rosmarin, Thymian und viel Knoblauch, mein Lieblingsessen.
    Die Süßigkeitenabteilung lächelt mich an. Ein Paket Filterpapier und drei Dosen Kaffeesahne liegen schon in meinem Einkaufskorb, zur Tarnung. Wer Filterpapier und Kaffeesahne kaufen will, der hat auch ein Zuhause, denke ich, da fallen die dreckigen Hosen nicht so sehr auf. Zum Glück ist genügend Betrieb im Laden, die beiden Verkäuferinnen beachten mich nicht. Ich kann also ungestört, wenn auch mit erhöhtem Puls, das Angebot studieren. Um die Preise schere ich mich einen Dreck. Krokant, Mokka, Vollmilch mit Pistazien, mit Mandeln, mit Haselnüssen, alles ist da und in Mengen, die mich bis München ernähren könnten. Beherzt greife ich zu, die Augen konzentrieren sich auf die Reaktion der Bedienung. Während ich mit der linken Hand eine Tafel in den Korb lege, gleitet die rechte sanft unter meine Lederjacke und klemmt die Ware unter der Achsel fest. Keiner hat’s gesehen. Scheinbar gelassen gehe ich zur Kasse. Noch während das Fräulein die Preise addiert, bekomme ich einen demonstrativen Schreck. »Wo ist mein Portemonnaie?« frage ich und greife in die leere Innentasche meiner Jacke, »ich muss es zu Hause vergessen haben.« Artig bitte ich die Verkäuferin, meine Sachen einen Moment beiseitezulegen, ich käme gleich zurück.
    Kaum bin ich um die
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