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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
Autoren: Redline Wirtschaft
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Ecke, schlägt die innere Spannung aus Angst und Beklemmung auf einmal um und das herrliche Glücksgefühl aus Kindertagen, als ich bei Kösel in Holzminden zum ersten Mal Luftballons klaute, strömt mir durch die Adern. Mit vier Tafeln »Mocca-Sahne« nehme ich Frankfurt im Sturm. Genau achtzehn Kilometer trennen mich noch von der Frankfurter Hauptpost, wo hoffentlich Fredas Brief auf mich wartet. Je weiter ich mich von Freda entferne, desto näher kommt sie mir, desto wohler fühle ich mich mit ihr, und die Vorfreude auf ein Wiedersehen lässt mich wie auf Watte gehen. Es gibt keine Ängste, keine Bedrängnis, keine bohrenden Fragen nach der Zukunft, es gibt nur die reinste Wolkenkuckuckserwartung, die mir selbst Frankfurts Vororte nicht vermiesen können.
    Die ersten Wohnklötze von Bonames stehen erbarmungslos in der abfallenden Mainebene. Halbwüchsige drücken sich an Bushaltestellen herum, die Freundin im Arm, die Kippe im Mundwinkel, und es gärt die ausweglose Langeweile des Feierabends. Die Mopeds stehen startklar auf dem Bürgersteig, noch heute Nacht könnten sie über alle Berge sein, aber niemand scheint zu wissen, wohin es gehen soll, also stehen sie da und warten, bis endlich etwas passiert, egal was. Auf den Fenstersimsen einer amerikanischen Kaserne grünt Marihuana. »Nodopenohope«, heißt der flüchtig hingesprühte Slogan an der Mauer. Jetzt würde ich gern mit einem »Walkman« AFN hören und dabei zusehen, wie die Wolkenkratzer beim Hineingehen in die Stadt in den Himmel wachsen. Wenn schon Frankfurt, dann original! Aber auch ohne Ton ist das Näherkommen der City aufregend. Zum ersten mal sah ich die Mainmetropole an diesem Morgen aus geschätzten dreißig Kilometern Entfernung von der Taunuskuppel nahe der Saalburg. Ein Dutzend Stecknadeln ragten aus dem Dunst wie ein kleines Fakirbrett. Nun sind aus den Nadeln dicke Sargnägel geworden und schon bald laufe ich auf eine zerklüftete Steilwandlandschaft zu, aus schwarzem Quarz, silbernem Eis und grauem Granit. »Imagine all the people …« singt John Lennon aus meinem Kopfhörer, und der »Reminder« mahnt: »Don’t forget our 52 fellow countrymen in Teheran«. – Ob die US-Geiseln wohl immer noch in persischen Händen sind? Was ist aus dem Olympiaboykott geworden? Gibt’s die Freie Republik Wendland noch? Und wie steht es eigentlich mit der Bundestagswahl?
    Auf der Zeil, vor der verschlossenen Hauptpost. Es ist zehn nach sechs, ich bin zu spät. Wohin jetzt, wo die Nacht verbringen, wie etwas zu essen besorgen mitten in Frankfurt am Main? Um in irgendwelchen Büschen zu schlafen, ist es zu feucht, die Übernachtungsherberge für Nichtsesshafte am Bahnhof ist, wie ich von Gustav weiß, zu gefährlich, »da klaun sie dir nachts die Schnürsenkel weg«. Also bleibt nur die Szene. Zwei Mädchen in langen Afghanenkleidern sehen mir nach Wohngemeinschaft aus und ich frage sie, ob sie wissen, wo ich heute nacht schlafen kann. »Bei uns in der WeGe ist alles voll«, sagt die eine, »aber ruf mal diese Telefonnummer an und frag nach Klaus oder Axel und sag, du hättest die Nummer von Doris.« Zwanzig Pfennige bekomme ich auch gleich dazu. Ein Peter meldet sich am Telefon. Klaus und Axel sind in der »Batschkapp«. »Wo?« frage ich. »In der >Batschkapp<«, buchstabiert Peter und beschreibt mir den Weg in die alternative Kneipe.
    Mit der Straßenbahn fahre ich hin. In einem Dämmerschuppen knallt so harte Musik, dass Feldmann lieber vor der Tür auf mich wartet. Junge Leute mit Stirnbändern, abgewetzten Lederjacken und Latzhosen drängeln sich. Die Luft ist zum Schneiden. Die Haschkekse, Stück für fünf Mark, gehen weg wie warme Semmeln. Wo sind Axel und Klaus? Das Mädchen mit den blonden Zöpfen hinter dem Ausschank hat sie heute noch nicht gesehen, kein Wunder bei dem Qualm, aber wenn sie auftauchen, will sie mir Bescheid sagen. Ich warte draußen auf den Steinstufen, dort komme ich wieder zu Atem. Teilnahmslos lasse ich die Menschen an mir vorbeigehen. Irgendwann werden sie schon antanzen, tröste ich mich. Die Stunden vergehen. Immer wieder sacke ich kurz weg und stehe auf überfluteten Brücken, vor brennenden Scheunen und in niederbrechenden Wäldern und überall erscheint Freda wie ein guter Engel und geht unberührt vom Schrecken des Geschehens durch meine Traumbilder, schaut immer nur zu mir herüber und lächelt.
    »Bist du der Freund von Axel?«, weckt mich ein junger Mann mit vielen Locken, und ich nicke verwirrt. »Dann komm mit,
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