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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
Autoren: Redline Wirtschaft
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ich bin der Burkhard, bei uns kannste pennen.« Also gehe ich mit, steige in einen alten Volvo und lasse mich in die Innenstadt zu einem der stattlichen alten Mietshäuser fahren, die Krieg und Spekulanten überstanden haben. Im Flur blättert die Farbe von den Wänden, aber die Wohnung im dritten Stock ist überraschend gut gepflegt. Weiße Raufasertapeten, abgeschliffener Holzfußboden, in der Küche jedoch ein Chaos. Burkhard zeigt mir mein Zimmer, dessen Besitzer, Michael, gerade auf Kreta Ferien macht. Das Bad ist gleich nebenan, das Klo eine Tür weiter, Burkhard verliert nicht viele Worte, wofür ich ihm dankbar bin. »im Eisschrank kannste dich bedienen«, sagt er noch und lässt mich allein.
    Ich habe keine Mühe, mich sofort wie zu Hause zu fühlen. Die Schaumstoffmatratze im Eck, davor die Stereoanlage, daneben der Fernseher, auf dem Schreibtisch ungeöffnete Strafmandate, an den Wänden gerahmte Poster der italienischen Gewerkschaften, die mit geballter Faust zur Teilnahme am »1. Maggio 1903« aufrufen – so ähnlich war meine Studentenbude in Bochum, und so ähnlich sehen auch die meisten Hamburger Wohngemeinschaften aus, die ich kenne; sie gleichen sich wie ein »Interconti« dem anderen. Selbst im Bücherregal kenne ich mich aus: Marx, Mitscherlich, Mead und Adorno stehen wie einst bei mir fast unberührt einträchtig beieinander. Die Pornos dagegen sind arg zerlesen und nicht gut genug versteckt im unteren Drittel des Frankfurter Rundschau -Stapels. Ein kurzer Rundblick genügt, und ich kann mir anhand der Zimmereinrichtung ein recht gutes Bild von dem Typ machen, der hier wohnt: Er muss so Ende zwanzig sein, studiert inzwischen lustlos irgendeine Sozialwissenschaft, seine Jugendträume haben längst zu welken begonnen, auf den Demos läuft er ohne innere Anteilnahme nur noch mit, Examensängste plagen ihn mehr als Mittelstreckenraketen und der Freiheitskampf in El Salvador, seit Jahren war er mal wieder beim Friseur und kam sich vor wie auf dem elektrischen Stuhl, die Freundin trägt sich zu allem Übel auch noch mit Heiratsabsichten, weil sie auf die Dreißig zugeht und nicht zu spät ein Kind haben will, nun kann er nicht mehr mit ihr schlafen, und das Fingernägelkauen hat er auch wieder angefangen. Kurz, er ist ein Mensch aus meiner Welt, bei dem ich traumlos gut schlafen werde.
    Am nächsten Morgen, Punkt acht, bin ich wieder an der Hauptpost, aber es wartet dort kein Brief auf mich. »Fehlanzeige«, sagt der Postler, nachdem er noch einmal auf mein Bitten das Fach mit dem Buchstaben »H« durchgesehen hat.
    Drei Tage muss ich warten, bis der Brief da ist. Der Text ist von telegrammhafter Kürze: »Lieber Michael, komme am 12.7. um 12.50 Uhr in Darmstadt an. Hoffe, dich dort zu sehen. Freda.« Am Zwölften, also in zwei Tagen. Im nächsten Buchladen sehe ich mir auf einer Karte an, wo dieses Darmstadt eigentlich ist. Keine vierzig Kilometer liegt es von hier, immer geradeaus durch Sachsenhausen, Neu-Isenburg, Langen, Egelsbach, das ist bis übermorgen leicht zu schaffen.
    Trotzdem jage ich zurück in meine Wohngemeinschaft, als ginge es um Minuten. Meine Sachen habe ich schnell zusammengepackt, der Abschied von Burkhard ist kurz und kühl. Die Erleichterung, dass ich nun endlich wieder abhaue, ist uns beiden anzusehen. Statt einer Nacht bin ich vier Tage geblieben, ein bisschen lang für zwei Leute, die sich nicht viel zu sagen haben. Wir sind uns meistens aus dem Weg gegangen, jeder saß in seinem Zimmer, er arbeitete an seiner »Diss», ich schrieb mein Tagebuch oder sah fern, und dass ich immer mal wieder kräftig im Eisschrank zugelangt habe, schien ihn nicht weiter aufzuregen – schließlich brachte ich dafür die versiffte Küche auf Hochglanz.
    Schmarotzen wollte ich in diesen vier Frankfurt-Tagen auch noch woanders, und zwar im Bahnhofsviertel. Weser-, Elbe-, Moselstraße, das Herz der Stadt, ich kenne es gut; es gab keine Reise nach Frankfurt, ohne dass ich nicht dort gewesen wäre. Prostituierte sind ja auch eine diskriminierte Minderheit, eine Randgruppe, ein richtiger Reporter kennt keinen Feierabend, der ist auch zwischen den Schenkeln einer Hure im Dienst. Ohne Geld allerdings war ich noch nie im »Palais d’Amour« oder im »Sex-Inn«, wo braucht man es nötiger als eben dort, ohne Geld ist man machtlos im Puff, ohne die Grundtaxe von 50 Mark gibt es nicht mal ein Lächeln.
    Ganz dicht hinter einer Gruppe von Geschäftsleuten stahl ich mich diesmal in den Kontakthof und
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