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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
Autoren: Redline Wirtschaft
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Transporter ist darauf abgebildet, darunter steht in roten Buchstaben: »Germania Turs«.
    Obst- und Gemüsehändler bieten nebenan ihre Ware feil, Trödler verkaufen Radiogeräte und Aschenbecher, es ist Wochenmarkt in Wilhelmsburg, einem Hamburger Arbeiter- und Zuwanderer-Viertel. Die Nachfrage ist groß nach allem, was gut und billig ist.
    Es gehen noch mehr Bestellungen ein an diesem Vormittag. Hakims Angebot ist begehrt, seine Bulgaren sind auf Baustellen gefragt, im Hafen, in Gaststätten und Putzkolonnen. Immer wieder klingelt sein Handy, es melden sich Pizzabäcker aus Dänemark und Lagerleiter aus Frankfurt. Sie bestellen Menschen für 25 Euro pro Tag, steuerfrei und unversichert. Bojan Hakim, 33, kennt sich aus. Früher, in Bulgarien, handelte er mit Vieh. Mit Schafen, mit Ziegen, mit Kühen. Sie mussten gesund sein, seine Tiere, stark und willig. Das Geschäft lief gut. Heute handelt er mit Menschen. Gesund müssen sie sein, stark und willig. Das Geschäft läuft besser.
    Ein zerfleddertes Notizbuch dient Hakim als mobiles deutsch-bulgarisches Arbeitsamt, darin notiert er die Namen seiner Arbeiter, Größe, Alter und Beruf, falls sie einen haben. Sobald sie zum Profil eines Auftraggebers passen, wird er sie nach Deutschland transportieren, den Kontakt zum Arbeitgeber herstellen und einen Schlafplatz vermitteln.
    Jede Woche bringt Hakim in seinem Minibus acht Arbeiter in die Bundesrepublik, knapp 400 sind es pro Jahr, Tausende kommen auf anderen Wegen und jagen hier einem Traum nach von Wohlstand und Aufstieg. Seit dem EU-Beitritt Bulgariens 2007 ist die Zahl der Bulgaren in Deutschland um 36 000 gestiegen, der Zuwachs lag im letzten Jahr bei über 20 Prozent, und niemand weiß, wie viele außerhalb der Statistiken hier leben, als Hilfsarbeiter für drei Euro Stundenlohn. Die meisten sprechen kein Deutsch, viele schicken ihre Kinder nicht in die Schule, sondern zur nächsten Straßenkreuzung, um Windschutzscheiben zu putzen; etliche leben versteckt in Keller­zimmern.
    Die Bulgaren sind im Moment eine der größten Zuwanderergruppen in Deutschland. Das steile Wohlstandsgefälle sorgt für steten Nachschub, auch wenn Bulgaren, anders als Polen oder Ungarn, erst ab 2014 die volle europäische Freizügigkeit für Arbeitnehmer genießen.
    Als EU-Bürger können sie einreisen, so oft sie wollen. Sie brauchen kein Visum und keine Aufenthaltsgenehmigung; nur wer länger als drei Monate bleibt und arbeiten will, muss die Erlaubnis der Behörden haben. Manche melden dann ein Gewerbe an und leben in der Scheinselbstständigkeit, andere suchen ganz ohne Papiere als Tagelöhner Jobs, doch auf dem Schwarzmarkt macht das kaum einen Unterschied. Die Chancen aufzufliegen sind gering.
    2200 Kilometer von Hamburg-Wilhelmsburg entfernt sitzen vier Männer an einem Tisch und streiten. »Ich will heute nicht über Frankfurt fahren«, sagt einer. »Ich musste letzte Woche schon bis nach Stuttgart, diese Woche bist du dran«, sagt der andere. Bojan Hakim schweigt. Die Mokkatassen vor ihm sind leer, die Aschenbecher voll, er nippt an einer Dose Bier, zieht an seiner Davidoff Gold Slim. »Weiberzigaretten«, sagt einer von ihnen. »Haben wir uns von den Nutten abgeguckt, die wir hin und wieder transportieren«, erwidert Hakim und lacht.
    Das Tankstellen-Café liegt in Russe, im Norden Bulgariens, an der Grenze zu Rumänien. Die Menschenhändler nennen es ihr »bulgarisches Büro«. Sie haben das Umland unter sich aufgeteilt. Jeder fährt durch seine Dörfer, verteilt Visitenkarten und spricht junge Männer an, die starke Oberarme haben. Einmal pro Woche treffen sie sich im »Büro« und entscheiden, wer welche Städte in Deutschland beliefern soll. Dann verteilen sie die Arbeiter auf ihre Busse und kassieren. Die Fahrt nach Deutschland kostet 150 Euro pro Person.
    Hakim steigt in seinen VW, Modell T5, Baujahr 2004. Acht Passagiere sitzen darin, beladen mit Schafskäse, Taschen und der Hoffnung auf ein besseres Leben. Langsam geht es an verlassenen Schlachthöfen vorbei, an geschlossenen Lederfabriken, durch ein Land, das zu Europas ärmsten zählt. An diesem Samstagmittag scheint die Sonne über Sliwo Pole, es ist das letzte Dorf vor der Grenze. Fast jede Familie hier hat einen Ehemann, einen Bruder oder Sohn im Westen.
    Die Alten sitzen vor ihren Häusern und trinken Kaffee. »Wenn die Kinder nicht in Deutschland wären, würden wir verhungern«, sagt eine alte Frau und verabschiedet sich von ihrem Sohn. Er ist der letzte
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