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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
Autoren: Redline Wirtschaft
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wie eine Hündin in die Hocke zu gehen, steht er nun auf drei wackeligen Beinen, grätscht das vierte im stumpfen Winkel weg und fünf, sechs Spritzer verfehlen die Brückenlaterne nur knapp. Ich bin stolz auf meinen Hund! Seit ich ihn aus dem Tierasyl befreit habe, hat er sich auch sonst gut entwickelt, die Brust ist trotz der schlechten Ernährung breiter geworden, das Fell dichter und mit der wachsenden Kraft hat auch das Selbstvertrauen zugenommen. Seine Ausflüge in die Wälder sind keine scheuen Erkundungsgänge mehr wie früher, als er sich alle zehn Schritte hilfesuchend nach mir umsah, selbstständig stöbert er heute durch die Gegend, den Schwanz aufrecht wie eine Standarte. Kein Gatter ist ihm zu hoch, kein Graben zu breit, ich muss manchmal energisch mein »Feldmann, Fuuuß!« brüllen, bis er sich widerwillig dazu durchringt, von einem fliehenden Hasen abzulassen, dem er jaulend und japsend auf den Fersen war.
    Je weiter wir nach Süden gehen, desto einsamer wird das Land. Die Großstädte sind fern, die Dörfer ärmlich und damit in meinen Augen schön. Die Bewohner scheinen kein Geld zu haben, um ihre alten Fachwerkhäuser abzureißen oder mit Eternitplatten zu verschandeln, Supermärkte, Selbstbedienungstankstellen, selbst die fahnengeschmückten Niederlassungen der Japanautos fehlen meist und die Kreissparkasse ist nur mit einer unscheinbaren Haltestelle für den Geldbus vertreten, der einmal in der Woche hier die Runde macht. Auf dem Schwarzen Brett von Giesenhausen am Fuße des Westerwaldes ist zu lesen, dass die rheinland-pfälzische Landesbildstelle am nächsten Montag mit dem fahrbaren Röntgenschirm eine kostenlose TB-Reihenuntersuchung vornehmen will, zu der der Gemeinderat die Bevölkerung herzlich einlädt. Mobil ist auch der Textilhändler, der seine Ware auf der Hauptstraße direkt ab PKW verkauft: Socken und Kinderbekleidung liegen nach Größen sortiert auf der Motorhaube, Oberhemden auf den Rücksitzen, die Miederwaren lagern diskret im Kofferraum. Vor dem Gewerbeaufsichtsamt braucht man sich hier in der Einsamkeit des Westerwaldes nicht zu fürchten.
    Einsam ist es hier wohl auch, weil der Dauerregen in diesem Jahr die Touristen vertrieben hat. Überall verweisen die »Zimmer frei«- Schilder der kleinen Pensionen und Gasthöfe auf eine schlechte Saison. So habe ich das Land ganz für mich, aber auch die Leute sind besonders aufgeschlossen, sie grüßen betont freundlich und scheuen oft nicht einmal die Mühe, eine Karte zu holen, um mir den Weg zu erklären, meinen Weg in Richtung Heppenheim. Und weichgeregnet, wie ich bin, habe ich kaum Schwierigkeiten, mein Nachtquartier zu finden. Selbst die scheuesten Bauern lassen mich in ihren Scheunen schlafen und vergessen all ihre Ängste, die ihnen Eduard Zimmermann & Co Monat für Monat am Bildschirm eingebleut haben:
    »Es klingelt. Frau G. geht zur Tür, öffnet – und >kämpft gegen einen Kraken<, wie sie später aussagt. Denn überall sind seine Hände, greifen nach ihr, tun ihr weh, ekeln sie. Dabei hätte sie >diesem verwahrlosten, schmutzigen Typ< bestimmt nicht aufgemacht, hätte sie ihn nur vorher gesehen. Ja – hätte sie. Dabei ist es so einfach, dafür zu sorgen, dass man vorher sieht, wer zu einem will. Ein moderner Weitwinkeltürspion kostet nur einige Mark und er ist auch im Nu eingesetzt. Mieter sollten allerdings ihren Vermieter vorher fragen; da ihm das Wohl seiner Mieter am Herzen liegt, wird er die Genehmigung kaum verweigern.
    Wenn schon der Sichtkontakt zum Besucher nicht möglich ist, sollte zumindest ein Hörkontakt hergestellt werden, über die Gegensprechanlage oder – notfalls – durch die Tür. In jedem Fall sollte man Fremden die Tür immer nur mit vorgelegter Sperrkette öffnen, denn schließlich gibt es ja auch den Wolf im Schafspelz, rät die Kriminalpolizei.«
    Mir dagegen trauen die Leute hier auf den ersten Blick. Ich werde ja wohl die Scheune nicht anstecken, das Haus nicht ausräubern, die Frau in Ruhe lassen, es passiert ja so viel im »Fennseh«, da sieht man es ja mit eigenen Augen. Nein, sag’ ich, ich werde nicht, bin viel zu müde, und was soll schon brennen, es ist ja doch alles nass. Auf einem einsam gelegenen Gehöft hinter Niederirsen bekomme ich sogar Bratkartoffeln mit Spiegelei und Feldmann Küchenabfälle die Menge, in Thal bei Roth bringt mir die Bäuerin vom Hahnenhof für die Nacht trockene Unterwäsche und Socken ihres Mannes in die Scheune, bis sich meine Sachen am Küchenherd
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