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Drachentränen

Drachentränen

Titel: Drachentränen
Autoren: Dean R. Koontz
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flatterte, als ob er in einen Wirbelsturm geraten wäre, doch es regte sich kein Lüftchen. Die Märzluft war seit dem Auftauchen dieses Ungetüms von einem Landstreicher so übernatürlich reglos, als ob die Welt nur eine gemalte Bühne wäre und sie beide die einzigen Schauspieler darauf.
    Doch schließlich stand Sammy Shamroe auf dem Asphalt wie auf einem Riff in einer Flaute. Die Angst vor der tosenden Flut von Krallen, scharfen Zähnen und roten Augen, die jeden Moment um ihn herum aufsteigen würde, hatte ihn auf die Füße getrieben.
    Unter seiner Kleidung bewegte sich der Körper des Rattenmanns so heftig wie ein Leinensack voller wütender Klapperschlangen. Er fing an, sich zu… verändern. Sein Gesicht löste sich auf und bildete sich neu, als ob er in einem Glühofen stände, der von einer verrückten Gottheit betätigt würde, die sich vorgenommen hatte, eine Reihe von Monstrositäten zu formen, von denen jede noch schrecklicher wäre als die vorherige. Die bläulichen Narben waren verschwunden, ebenso die Reptilienaugen, der wirre Bart, das verfilzte Haar und der grausame Mund. Einen Augenblick lang war sein Kopf nichts weiter als eine undifferenzierte Masse Fleisch, ein Klumpen triefenden Breis, erst blutrot, dann rotbraun und noch dunkler, feucht glänzend wie der ausgekippte Inhalt einer Dose Hundefutter. Dann festigte sich das Gewebe ganz unvermittelt, und sein Kopf war plötzlich aus Ratten zusammengesetzt, die sich aneinander klammerten, ein Knäuel von Ratten, deren Schwänze herunterhingen wie die Dreadlocks eines Rastafari, deren wilde Augen leuchteten wie rote Blutstropfen. Wo seine Hände hätten sein müssen, quollen Ratten aus seinen ausgefransten Ärmeln. Weitere Nager steckten ihre Köpfe zwischen den Knöpfen seines prall gefüllten Hemdes hervor.
    Obwohl er das alles schon einmal gesehen hatte, versuchte Sammy zu schreien. Seine geschwollene Zunge klebte aber am Gaumen seines trockenen Mundes, so dass er nur ein ängstliches, ersticktes Geräusch aus der Tiefe seiner Kehle hervorbrachte. Doch Schreien würde ihm ohnehin nicht helfen. Er hatte bereits bei früheren Begegnungen mit seinem Peiniger geschrieen, und niemand hatte reagiert.
    Der Rattenmann löste sich auf wie eine lädierte Vogelscheuche in einem tosenden Sturm, einzelne Teile seines Körpers fielen ab. Jedes Stück, das auf dem Boden auftraf, war eine einzelne Ratte. Die widerlichen Geschöpfe mit ihren Schnurrhaaren, feuchten Nasen und scharfen Zähnen kletterten quiekend übereinander, wobei sie mit ihren langen Schwänzen nach rechts und links schlugen. Immer mehr Ratten quollen aus seinem Hemd und unter seinem Hosensaum hervor, viel mehr als unter seinen Kleidern überhaupt gewesen sein konnten, zwanzig, vierzig, achtzig, über hundert.
    Wie ein schrumpelnder Luftballon von der Form eines Mannes senkten sich seine Kleider langsam auf das Pflaster. Dann verwandelte sich auch jedes einzelne Kleidungsstück. Aus den zerknitterten Stoff-Fetzen sprossen Köpfe und Gliedmaßen, und weitere Nager entstanden, bis anstelle des Rattenmannes und seiner stinkenden Sachen nur noch ein wimmelnder Haufen von Schädlingen da war, die mit jener knochenlosen Beweglichkeit durcheinander krochen, die sie so widerlich machte.
    Sammy konnte kaum atmen. Die Luft wurde immer schwerer. Während der Wind bereits früher verstummt war, schien sich nun auch über die tieferen Schichten der Natur eine unnatürliche Reglosigkeit zu senken, bis die Beweglichkeit der Sauerstoff- und Stickstoffmoleküle so drastisch eingeschränkt war, dass es schien, als ob die Atmosphäre sich zu einer Flüssigkeit verdickt hätte, die er nur mit größter Mühe in seine Lungen ziehen konnte.
    Nun wo der Körper des Rattenmannes sich in Hunderte von wimmelnden Bestien aufgelöst hatte, zerstreute sich die verwandelte Masse ganz plötzlich. Die fetten, aalglatten Ratten brachen aus dem Haufen aus und flohen in alle Richtungen. Sie huschten von Sammy fort, wimmelten aber auch um ihn herum, über seine Füße und zwischen seinen Beinen hindurch. Die abscheuliche, lebende Flut ergoss sich in die Schatten entlang der Gebäude und über das unbebaute Grundstück, wo sie in Löchern in den Mauern und in der Erde versickerte -Löcher, die Sammy nicht sehen konnte - oder einfach verschwand.
    Ein plötzlich aufkommender Wind trieb trockene, verwelkte Blätter und Papierfetzen vor sich her. Man hörte das Quietschen der Reifen und das Brummen der Motoren, mit dem die Autos auf
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