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Drachentränen

Drachentränen

Titel: Drachentränen
Autoren: Dean R. Koontz
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jemanden näher kommen. Schwere Schritte. Ein leichtes Hinken, ein Fuß schabte über das Pflaster. Er kannte diesen Schritt. Er fing an zu zittern. Er hielt den Kopf gesenkt und schloss die Augen, um die Schritte mit seiner Willenskraft dazu zu bringen, schwächer zu werden und schließlich ganz zu verstummen. Doch sie wurden lauter, kamen immer näher… dann hielten sie unmittelbar vor ihm an.
    »Hast du’s endlich rausgekriegt?«
    Es war die tiefe, raue Stimme, die Sammy seit einiger Zeit in seinen Alpträumen verfolgte. Doch nun schlief er nicht. Das war nicht das Monster aus seinen wirren Träumen. Das war das wirkliche Wesen, das die Alpträume ausgelöst hatte.
    Widerwillig öffnete Sammy seine schlaftrunkenen Augen und blickte auf.
    Der Rattenmann stand hoch aufgerichtet vor ihm und grinste.
    »Hast du’s endlich rausgekriegt?«
    Groß und kräftig, mit seiner unordentlichen Haarmähne und seinem verfilzten Bart, der mit nicht identifizierbaren Stückchen und Resten von Dingen durchsetzt war, die zu widerlich waren, als dass man sie genauer betrachten wollte, war der Rattenmann eine Furcht erregende Gestalt. An den Stellen, wo der Bart das Gesicht nicht verdeckte, war es von Narben zerfurcht, als ob jemand mit einem weißglühenden Lötkolben darüber gefahren wäre. Seine riesige Nase war völlig krumm und seine Lippen mit nässenden wunden Stellen übersät. In seinem dunklen, kranken Zahnfleisch saßen die Zähne wie lädierte, vom Alter gelb gewordene marmorne Grabsteine.
    Die raue Stimme wurde lauter. »Vielleicht bist du schon tot.«
    Das einzig Normale an dem Rattenmann waren die Sachen, die er anhatte. Tennisschuhe, eine Khakihose aus dem Wohlfahrtsladen, ein Baumwollhemd und ein übel vom Wetter verschlissener Regenmantel, alles fleckig und stark zerknittert. Das war die Uniform vieler Stadtstreicher, die - manche aus eigener Schuld, manche aber auch nicht - durch die Ritzen im Fußboden der modernen Gesellschaft in den düsteren Unterbau gefallen waren.
    Die Stimme wurde demonstrativ leiser, als der Rattenmann sich nach vorne beugte und ihm näher kam. »Bereits tot und in der Hölle? Könnte das sein?«
    Von allem Absonderlichen, was der Rattenmann an sich hatte, waren seine Augen am beunruhigendsten. Sie waren tiefgrün, außergewöhnlich grün, doch das Merkwürdigste war, dass die schwarzen Pupillen elliptisch, wie bei einer Katze oder einem Reptil waren. Aufgrund der Augen wirkte der Körper des Rattenmannes wie eine Verkleidung, eine Art Gummianzug, als ob etwas Unbeschreibliches aus einem Kostüm auf eine Welt starrte, in die es nicht geboren war, die es aber begehrlich betrachtete.
    Der Rattenmann senkte seine Stimme noch mehr, bis sie nur noch ein krächzendes Flüstern war: »Tot, in der Hölle, und ich der Dämon, der dazu ausersehen ist, dich zu quälen?«
    Da er wusste, was kam, weil er es schon mal durchgemacht hatte, versuchte Sammy sich aufzurappeln. Doch bevor er sich davonmachen konnte, trat ihn der Rattenmann in Windeseile. Der Tritt ging haarscharf an seinem Gesicht vorbei und traf ihn an der linken Schulter. Er fühlte sich nicht an wie von einem Turnschuh, sondern wie von einem Schaftstiefel, als ob der Fuß darin ausschließlich aus Knochen oder Hörn oder aus dem Material wäre, aus dem der Panzer eines Käfers besteht. Sammy krümmte sich in Fötushaltung und schützte, so gut es ging, den Kopf mit seinen verschränkten Armen. Der Rattenmann trat ihn wieder und wieder, linker Fuß, rechter Fuß, linker Fuß, fast als ob er ein Tänzchen aufführte, eine Art Gigue, eins-Tritt und zwei-Tritt und eins-Tritt und zwei, alles ohne jedes Geräusch. Er schnaubte nicht vor Wut, lachte nicht höhnisch, und atmete auch nicht schwer, trotz der Anstrengung.
    Die Tritte hörten auf.
    Sammy rollte sich noch enger zusammen und wand sich vor Schmerzen wie eine Kellerassel.
    In der Gasse war es unnatürlich ruhig. Man hörte nichts außer Sammys leisem Weinen, für das er sich selbst verabscheute. Der Verkehrslärm von den nahe gelegenen Straßen war völlig verstummt. Der Oleanderstrauch hinter ihm raschelte nicht mehr im Wind. Als Sammy sich dann wütend zuredete, sich wie ein Mann zu verhalten, und sein Schluchzen herunterschluckte, war es absolut totenstill.
    · Er wagte es, die Augen zu öffnen und zwischen seinen Armen hindurch zu spähen, und schaute zum Ende der Gasse. Nachdem er seinen Tränen verschleierten Blick durch mehrmaliges Blinzeln geklärt hatte, konnte er zwei Autos
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