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Drachensturm

Titel: Drachensturm
Autoren: Torsten Fink
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Gesicht. Er bot ihr einen Vorwand, zurückzubleiben, aber sie bestand offenbar darauf, in ihr Unglück zu rennen. Er blickte hinüber. Der Tempel war nicht zu sehen, aber das hatte er vorher gewusst. Er lag dicht beim Wasserfall, unter der Erde, auf der Insel am Ende dieses Dammes, der den See daran hinderte, in seiner ganzen Breite in die Senke hinabzustürzen. Er würde den Eingang schon finden, und wenn die Fremde darauf bestand, dass er sie mitnahm, dann sollte es eben so sein. Vielleicht war es ein Zeichen Tamachocs. Er nahm sie an der Linken, die sich eigenartig leblos anfühlte, und führte sie hinüber. Der Weg auf der Dammkuppe war schmal, und Kemaq wunderte sich, dass er nicht ausgebaut oder geglättet war. Aber vielleicht war das, um den Tempel nicht zu offenbaren. Sie waren fast auf der Insel angekommen, als auf einmal ein Stückchen Stein vor ihm in kleinen Splittern durch die Luft wirbelte. Er blieb verblüfft stehen, weil er so etwas noch nie gesehen hatte. Etwas zischte an ihm vorbei. » Weiter!«, schrie die Fremde über das Brausen des Wasserfalls und duckte sich. » Sie schießen auf uns!«
    Kemaq blickte hinab in die Senke. Unter den Bäumen glitzerte es silbern, und in beträchtlicher Entfernung stiegen kleine Rauchwolken auf. Sie schossen mit Donnerrohren auf ihn! Er duckte sich ebenfalls und zog die Fremde hinter sich hinüber auf die Insel. Ein Haufen großer Steine lehnte in der Mitte des kleinen Eilandes aneinander. Darunter lag tiefe Schwärze. » Komm«, rief er und zog die Fremde unter die Steine. Kühle Luft schlug ihm entgegen. Sie hatten den Eingang gefunden.
    Mila folgte dem Indio eine enge Treppe hinab. Das Brausen des Wasserfalls dröhnte dumpf. Offenbar lag der Tempel unter dem Wasserfall! Die Natur selbst musste ihn gebaut haben, denn sie fühlte nur Felsen, keine Mauern, und auch die Stufen, die sie hinabhasteten, waren in nackten Fels gehauen. Sie hielten an, und der Indio ließ ihre Hand los. Das Gefühl – es kehrte plötzlich zurück! Wie Feuer schoss es zurück in den Arm. Sie hätte beinahe aufgeschrien. Das Brausen war lauter geworden, was Mila erst nicht verstand, aber dann begriff sie, dass die Höhle, oder was immer der Tempel auch war, einen offenen Ausgang direkt zum Wasserfall haben musste. Es war laut, und der permanente Donner machte es ihr unmöglich zu erkennen, wo der Indio war. Er konnte ebenso gut dicht neben ihr stehen wie auch fort sein, sie konnte ihn nicht hören. Erst allmählich erfasste sie über das Dröhnen die Größe und Gestalt dieser Felsenkammer. Sie war lang und schmal, nicht sehr hoch, und es schien nur einen Raum zu geben. » Wir müssen uns beeilen. Siehst du hier einen besonderen Stein?«, rief sie.
    Kemaq starrte auf die Wasserwand, die dort vor der Höhle herabdonnerte. So hatte er sich den Tempel nicht vorgestellt. Im Dämmerlicht zeigte sich eine Felsenhöhle, schmucklos und schlicht. Er sah weder goldenes Tempelgerät noch prachtvolle Bilder. Wo war der Regenstein? In der Mitte der Grotte stand ein Tisch, offenbar an Ort und Stelle aus einem Felsen gehauen. Eine Schale und ein langes Bronzemesser lagen darauf, und eine Kerbe war in den Tisch geschlagen. Sie führte zu einer Rinne, die über den Fußboden lief und in der Wand verschwand. Die Fremde stand hinter ihm, ahnungslos, und schien dem Brausen des Wasserfalls zu lauschen. Er schluckte. Es würde nicht schwer sein, sie zu töten. Aber halt, erst musste er den Stein haben! Doch den sah er nirgends. Er suchte die Wand nach Zeichen ab und fand – endlich – einen Kienspan und Feuerstein. Er schlug Feuer. Wenn die Fremden die Treppe fanden, würden sie gleich hier sein. Bis dahin musste er den Regenstein in Sicherheit gebracht haben. Der Span flackerte auf, die Schatten schwanden, und über ihm an der Decke zeigte sich ein Bild. Er starrte hinauf. Es zeigte Tamachoc in Gestalt einer gefiederten Schlange, die über einem halben Regenbogen schwebte. Und der Regenbogen hatte seinen Ursprung in einem Stein.
    » Was ist?«, rief die Fremde. » Hast du ihn?«
    » Nein«, antwortete er, » aber hier gibt es ein Bild.«
    » Was zeigt es?«, fragte sie.
    Also beschrieb er das Bild. Sie war klug, das hatte sie bewiesen. Vielleicht konnte sie noch dieses Rätsel lösen, bevor er sie töten musste.
    » Die Regenschlange steigt aus einem Stein? Nabu sagte, dass er den Regenbogen über dem Wasserfall gesehen hat. Vielleicht ist der Stein irgendwo dort«, sagte sie und wies auf den Vorhang aus
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