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Drachensturm

Titel: Drachensturm
Autoren: Torsten Fink
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auch überhaupt keinen Grund, ihr zu vertrauen. Sie war mit den Drachen ins Land gekommen, hatte mit Feuer und Schwert seine Heimat überfallen. Viele Indios waren getötet worden, wenn auch nicht durch sie, nicht einmal durch den Orden. Wenn sie sein Vertrauen wollte, musste sie es sich verdienen. » Ich bin Anna Milena Leonore Comtesse von …« Sie schüttelte innerlich den Kopf über sich selbst und begann von vorn. » Ich werde Mila genannt. Wie ist dein Name?«
    » Kemaq.«
    » Ich muss dir danken, Kemaq, du hast mir sehr geholfen.«
    Der Indio antwortete nicht.
    » Ich spüre, dass du mir nicht traust, und du wirst dich vermutlich fragen, was ich in diesem Tempel will. Nun, ich bin hier, weil es dort etwas gibt, was den Spaniern, also den Männern, die du Fremde nennst, nicht in die Hände fallen darf! Ich will es fortbringen. Irgendwohin, wo es sicher ist, verstehst du?«
    » Wir müssen weiter«, sagte der Indio und zog sie am Arm hinter sich her.
    Warum musste sie ihm das sagen? Kemaq verfluchte sein Schicksal. Sie wollte also den Regenstein stehlen, und sie gab es offen zu! Das Gerede, dass er den anderen Fremden nicht in die Hände fallen durfte, das war doch Unsinn. Jeder, der ihn begehrte, behauptete vermutlich, dass er ihn nur vor anderen beschützen wollte, aber eigentlich wollten sie ihn nur für ihre eigenen Zwecke benutzen: die Fremden, Rumi-Nahui, und vielleicht sogar Pitumi. Kemaq biss sich auf die Lippen. Sie war nicht sehr deutlich geworden, wenn es darum ging, wie sie den Regenstein verwenden wollte. Sie wollte die Götter auf ihrer Seite in den Kampf zwingen, um sowohl die Fremden wie auch das Sonnenvolk zu besiegen, das hatte sie gesagt. Aber wenn ein Mensch die Götter zu etwas zwingen konnte … Pachakuti, die Zeitenwende – das schoss ihm plötzlich in den Sinn, während er die Fremde durch den Urwald zerrte. Wenn Menschen den Göttern Befehle erteilten, dann war wahrlich eine Zeitenwende gekommen. Aber war das etwas Gutes? Der Wasserfall war schon ganz nah, er konnte ihn durch das dichte Blattwerk hindurch sehen, und sein Brausen war so laut, dass er sich anstrengen musste, um ihn jetzt zu übertönen. » Wir sind gleich da. Der Tempel liegt oben, aber es gibt eine Treppe.«
    Die Fremde nickte ihm kühl zu. Dann traten die Bäume zurück, und der Wasserfall lag vor ihnen. Er war vielleicht dreißig Schritt breit und beinahe ebenso hoch. Payakmama hatte gesagt, die Stufen seien nicht zu übersehen, aber er sah sie nicht. » Ich kann die Treppe nicht finden«, sagte er mit wachsender Verzweiflung.
    » Du warst noch nie hier?«, fragte sie.
    » Nein, Payakmama sagte, sie sei halb versteckt, aber die ersten Stufen seien nicht zu übersehen.«
    Die Fremde runzelte nachdenklich die Stirn. Dann sagte sie: » Vielleicht verdeckt sie der Wasserfall.«
    » Wie kommst du darauf?«, fragte Kemaq erstaunt.
    Mila zuckte mit den Achseln. Eigentlich kam sie darauf, weil ihr Meister Albrecht erklärt hatte, dass die Jahreszeiten auf der südlichen Halbkugel der Erde vertauscht waren. So sei zwar November, aber doch gleichwohl auch Frühling, weshalb die Schneeschmelze die Flüsse noch anschwellen ließ. Der Alchemist. Sie wollte weder an ihn denken noch über ihn reden. Also zuckte sie wieder mit den Achseln und sagte: » Es ist nur eine Ahnung.«
    Der Indio schien zwar nicht überzeugt, aber er führte sie dennoch hinüber zum Fall.
    » Du hast Recht!«, brüllte er über das Brausen. » Dort beginnen die Stufen.«
    Sie führten dann doch weg vom Wasserfall und steil hinauf. Mila spürte, dass die Tritte sauber bearbeitet waren, aber sie fühlte auch rechts und links Felsen. Die Baumeister hatten sie so geschickt angelegt, dass sie von unten vermutlich nicht zu sehen waren – nicht, wenn die Flüsse voller Wasser waren. Sie selbst war jetzt ganz durchnässt, denn der Wasserfall hüllte sie ein mit seinem Dunst. Es war erfrischend, denn die Sonne stand fast im Zenit, und es lag eine drückende Hitze über dem Dschungel. Sie erreichten das obere Ende der Treppe. Mila spürte eine leichte Brise. Vor ihr lag offenes Wasser, das fühlte sie. Der Indio blieb wieder stehen. » Wir müssen über den Damm«, erklärte er.
    » Dann lass uns gehen«, antwortete Mila.
    » Der Weg ist sehr schmal«, warnte der Indio.
    » Dann werde ich eben vorsichtig sein«, antwortete sie lächelnd. Sie fand es beinahe rührend, wie er sich um sie zu sorgen schien.
    Sie wollte nicht hören! Kemaq starrte in ihr lächelndes
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