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Drachensturm

Titel: Drachensturm
Autoren: Torsten Fink
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nicht gedacht. Offenbar lagen die Götter und ihre Reiter mit den anderen Fremden im Krieg. Er konnte sie also nicht jenen Fremden überlassen, die noch im Wald waren. Oder waren die alle tot? Er hörte einen Ruf, den Warnruf der Chachapoya. Es war nicht gewiss, ob er ihm galt, aber klar war, dass er hier nicht bleiben konnte. Und die Fremde musste sich verstecken. Eine Stimme wehte an sein Ohr. » Bring sie in den Tempel, Chaski«, hauchte es.
    Kemaq drehte sich erschrocken um. Pitumi war nirgends zu sehen. Es stiegen nur Nebelschwaden aus dem feuchten Boden und wehten über den Fluss, der hinter den Bäumen glitzerte.
    » Warum soll ich sie jetzt auf einmal mitnehmen?«, fragte er flüsternd.
    » Die Zeichen verlangen es.«
    » Aber sie ist eine Fremde.«
    » Und du brauchst ein Opfer für Tamachoc«, hauchte die Stimme und verklang.
    » Mit wem redest du?« Die Fremde stand plötzlich vor ihm. Die Borla war verschwunden, und er sah zum ersten Mal ihre blinden weißen Augen. Ihr Gesicht war rußverschmiert, und ihr goldenes Haar war mit Laub und Gräsern durchflochten. Tränenspuren liefen über ihr Gesicht. » Er sagt, ich soll mit dir gehen«, erklärte sie.
    » Mit mir?«, fragte Kemaq tonlos.
    » Ja, ich will ihn nicht verlassen, aber er sagt, bei dir sei ich sicherer. Stimmt das?«
    » Hier kannst du nicht bleiben«, antwortete er langsam. » Die Chachapoya haben weitere Fremde im Wald gesehen.«
    » Gut«, stellte die Fremde schlicht fest. » Kannst du mich zum Tempel führen?«
    » Tempel?«, fragte Kemaq zögernd.
    » Der Tempel Tamachocs. Er ist nicht weit«, erklärte die Fremde kühl. » Dort muss ich hin.«
    » Du weißt, wo er ist?«, fragte Kemaq verblüfft.
    » Nabu hat den Regenbogen gesehen. Ich kann den Wasserfall schon hören«, sagte sie.
    » Ein Wasserfall, ja«, erwiderte er langsam. Payakmama hatte ihm von dem Fall erzählt. Sie hatte ihm auch gesagt, dass die Priester ein Tier opferten, um den Gott günstig zu stimmen. Ganz früher waren es Menschen gewesen, die freiwillig dieses Opfer brachten. Kemaq starrte die Fremde unglücklich an.
    » Was ist, worauf warten wir noch?«, fragte sie. Dann wies sie flussaufwärts. » Wir müssen in diese Richtung, falls du es nicht weißt. Was ist jetzt?«
    Kemaq hatte oft über die Fremde mit den goldenen Haaren nachgedacht, sich überlegt, was er ihr sagen könnte, wenn er ihr je begegnen würde. Und sie? Sie wusste nicht einmal, wer er war!
    » Dein Stab, ich habe ihn gefunden«, sagte er verlegen und drückte ihr den Stab in die Hand.
    » Ich danke dir«, sagte sie und lächelte schwach.
    Wieder lief ein Warnruf der Chachapoya durch das Blätterdach. Kemaq nickte grimmig. Wenn sie darauf bestand, dann würde er die Fremde eben in den Tempel führen . Aber opfern will ich sie nich t, sagte er zu sich. Doch du musst ein Opfer bringen, antwortete seine innere Stimme.
    Der Indio verschwieg ihr etwas. Mila spürte es, als sie blind hinter ihm durch den Wald stolperte. Sie hatte sich so daran gewöhnt, durch die Augen des Drachen zu sehen, dass ihr diese Dunkelheit, die sie seit ihrer Geburt umgab, jetzt besonders grausam und … ungerecht erschien. Nabu! Sie wäre gern bei ihm geblieben, aber er hatte Recht: Bei einem Kampf wäre sie ihm keine große Hilfe, vielleicht sogar eine Last gewesen. Ihr linker Arm war taub, dafür schmerzten ihre Rippen umso mehr, und jeder Atemzug tat weh. Es war vernünftig, weiterzugehen und zu verhindern, dass der Alchemist den Azoth bekam, vernünftig, aber es fühlte sich furchtbar an. Sie bemerkte, dass ihr immer noch Tränen über die Wangen liefen, und versuchte, sich zusammenzureißen, weil sie gegenüber diesem Indio nicht zeigen wollte, wie schwach und verletzlich sie sich fühlte. Sie hatte den Schleier verloren, das Geschenk ihrer Mutter, und war drauf und dran, den Indio zu fragen, ob er ihn nicht gesehen hatte. Aber natürlich ging das nicht. Und dann war da dieses Gefühl des Misstrauens. Was verbarg der Indio vor ihr? Überhaupt – was wollte er an diesem Ort? Er kam ihr bekannt vor, sein Geruch, seine Stimme. Sie blieb stehen. » Ich kenne dich«, sagte sie.
    Auch der Indio war stehen geblieben. » Wir müssen weiter«, antwortete er ausweichend.
    » Ich habe deine Stimme schon gehört. Du bist doch jener Läufer, den wir auf der anderen Seite der Berge gefangen haben, oder?«
    » Ja, der bin ich. Können wir weiter? Ich glaube, die Fremden sind schon nah.«
    Mila seufzte. Der Mann war abweisend, aber er hatte
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