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Drachensturm

Titel: Drachensturm
Autoren: Torsten Fink
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Schweres fiel polternd von dem Hindernis, das sie um ihr Gleichgewicht gebracht hatte. Der Stab! Sie brauchte ihren Stab. Ihr war, als würde sie den Alchemisten lachen hören. Sein Geruch wehte heran. Sie brauchte ihren Stab, um ihn abzuwehren, sonst war es aus. Verzweifelt tastete sie nach ihrer Waffe, aber das Einzige, was sie fand, war ein großer, schwerer Steinbrocken, der in irgendetwas eingewickelt war. Zur Not konnte aber auch ein Stein eine Waffe sein. Der Alchemist sprang heran, sie roch ihn, spürte, dass er über ihr stand, hörte den Schrei, mit dem er zum tödlichen Schlag ausholte. Verzweifelt hob sie den Steinbrocken zur Abwehr, aber sie konnte nur raten, wo ihr Feind zuschlagen würde.
    Kemaq sank stöhnend in die Knie. Der Regenstein. Die Fremde hatte ihn, sie entweihte ihn, und nun versuchte sie, mit der größten Kostbarkeit dieser Welt den nächsten Streich des Kuka Machu abzuwehren. Irgendwie schien sie zu wissen, wo der Schlag ihres Gegners landen würde, und gelähmt vor Entsetzen, sah Kemaq, wie die silbern blitzende Klinge des Feindes den heiligsten aller Steine genau in der Mitte traf. Es gab einen Ton wie von geborstener Bronze. Das Schwert zersprang und der Stein ebenfalls. Der Kuka Machu schrie entsetzt auf.
    Mila spürte die Wucht des Schlages, der den Stein in ihrer Hand pulverisierte. Sie hörte diesen seltsamen Ton, wie von einer gesprungenen Glocke dröhnte er durch den Tempel und übertönte für einen Augenblick das Brausen des Wasserfalls. Und darüber lag der helle Entsetzensschrei des Alchemisten. Etwas war geschehen. Mila blickte sich um. Da – da lag ihr Stab, nur einen Fingerbreit von ihrer Hand entfernt. Sie griff nach ihm und sprang auf. Der Alchemist starrte sie an. Sie schlug zu, traf, ihr Feind taumelte zurück. Etwas stimmte nicht, aber ihr blieb keine Zeit, sich Gedanken zu machen. Sie prügelte auf Albrecht von Straßburg ein. Er hatte sein Schwert verloren, hob schützend die Arme vor das Gesicht, als habe er vergessen, dass er unverwundbar war, und wich weiter vor ihr, vor ihrem Zorn, zurück. Und Mila war zornig. Sie ignorierte den bebenden Boden, das Knacken in den Felsen, das den Wasserfall übertönte. Sie schlug auf den Alchemisten ein, bis er fast im Wasserfall am Rand des Tempels stand. Er wandte den Kopf, starrte ungläubig in das fallende Wasser. Noch ein Schlag traf ihn. Er taumelte, trat fehl, kämpfte um sein Gleichgewicht, verlor es und stürzte in die Tiefe. Der Boden bebte.
    Der Boden bebte, und Kemaq bemerkte es nicht. Er ließ das Opfermesser fallen. Der Regenstein – er war fort. Er achtete nicht auf den Kampf der beiden Fremden, taumelte über den schwankenden Boden dorthin, wo der Stein zu Staub zerfallen war, und versuchte mit zitternden Fingern, so viel wie möglich davon in die schützende Hülle zu scharren. Er hörte den Schrei kaum, mit dem der Kuka Machu fiel. Plötzlich war die Fremde bei ihm. Sie packte ihn hart an der Schulter. » Ein Erdbeben, wir müssen hier weg!«, schrie sie, um den Wasserfall zu übertönen.
    Kemaq schüttelte den Kopf. Er war wie gelähmt. Aber sie packte ihn fester und rief: » Raus hier!«
    Der Fels zitterte. Mila spürte die Erschütterung. Irgendetwas stimmte nicht – nein, gar nichts stimmte! Der Indio schien nicht auf sie hören zu wollen. Er schüttelte stumm den Kopf und scharrte weiter rötlichen Staub auf eine Stoffbahn. Sie packte ihn an seinem Gewand und zerrte ihn auf die Beine. Er schüttelte wieder den Kopf, drückte das Stück Stoff an seinen Leib, als sei es das kostbarste Ding der Erde, und blieb stehen. Aber sie wollte nicht in diesem Tempel sterben, und sie wollte den Indio nicht zurücklassen. Also schob sie ihn grob die Treppe hinauf. Der Boden schwankte wieder, und ein lautes Knirschen übertönte das Donnern des Wassers. Mila sah die Stufen tanzen und bekam Panik.
    Endlich stolperten sie unter den Steinen hervor. Beide blieben sie, wie vom Schlag getroffen, stehen. Der Damm – er bewegte sich! Aber es war kein Erdbeben: Der Damm erhob sich, schüttelte Fels, Staub, Stein, Büsche und Gräser ab, schüttelte sich noch einmal und spannte zwei riesige Flügel aus. Mila sank ächzend in die Knie. Auf dem Damm waren Spanier und Indios, die sich verzweifelt an Büsche und Steine klammerten. Sie versuchten, sich festzuhalten an dem, was sich dort gewaltig und in allen Farben schimmernd aus dem Wasser erhob. Es war Tamachoc, die Regenschlange, es war ein Drache, und auch wieder nicht. Mila
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