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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer
Autoren: Khaled Hosseini
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Ingenieur, einem ehemaligen Architekten und einem ehemaligen Arzt, der jetzt in Hayward Hotdogs verkaufte. Sie alle kannten meinen Vater noch aus Kabul und äußerten sich sehr respektvoll über ihn. Er hatte auf die eine oder andere Weise mit jedem von ihnen zu tun gehabt. Sie meinten, dass ich mich glücklich schätzen dürfe, einen so großen Mann zum Vater gehabt zu haben.
    Wir unterhielten uns über Karzai, über die schwierige und undankbare Aufgabe, die er übernommen hatte. Auch von der neu gebildeten Loya Jirga war die Rede und von der bevorstehenden Rückkehr des Königs nach 28-jährigem Exil. Ich erinnerte mich an die Nacht im Jahre 1973, als Zahir Shah von seinem Cousin vom Thron gestürzt worden war; ich erinnerte mich an das Gewehrfeuer und den silbern leuchtenden Himmel - Ali hatte mich und Hassan in die Arme genommen und uns mit den Worten beruhigt, dass da draußen nur auf Enten geschossen werde.
    Irgendjemand erzählte dann einen Hodscha-Nasreddin-Witz, und alle lachten. »Übrigens«, sagte Kabir, »dein Vater war auch ein sehr komischer Mann.«
    »Ja, das war er«, bestätigte ich schmunzelnd und dachte daran, wie sich Baba kurz nach unserer Ankunft in Amerika abfällig über »US-Fliegen« ausgelassen hatte. Mit einer Fliegenklatsche in der Hand hatte er am Tisch gesessen und den hektischen, wirren Flugmanövern der kleinen Insekten zugesehen. »In diesem Land haben nicht einmal die Fliegen Zeit«, beklagte er sich, worüber ich herzhaft hatte lachen müssen. Noch bei der Erinnerung schmunzelte ich.
    Gegen drei Uhr ließ der Regen nach. Der grau bewölkte Himmel lockerte ein wenig auf. Eine kühle Brise wehte durch den Park. Es kreuzten weitere Familien auf. Man begrüßte einander, umarmte, küsste sich, teilte mitgebrachte Speisen. Jemand sorgte für ein Holzkohlenfeuer, und bald duftete es herrlich nach Knoblauch und Fleischspießen. Es wurde auch musiziert und gesungen. Ich suchte Suhrab und sah ihn in seinem gelben Regenmantel an einen Mülleimer gelehnt, den Blick auf ein mit Maschendraht umzäuntes Baseballtrainingsfeld.
    Ich unterhielt mich gerade mit dem ehemaligen Arzt, von dem ich erfuhr, dass er und Baba im achten Schuljahr Klassenkameraden gewesen waren, als mich Soraya am Ärmel zupfte. »Amir, sieh nur!«
    Sie zeigte zum Himmel hinauf. Fünf, sechs Papierdrachen standen hoch oben in der Luft, leuchtend gelbe, rote und grüne Flecken vor grauen Wolken.
    »Erkundige dich doch mal«, meinte Soraya, zeigte auf eine Bude in der Nähe, wo es offenbar Drachen zu kaufen gab.
    Ich reichte Soraya meine Tasse Tee, entschuldigte mich bei meinem Gesprächspartner und ging auf den Verkaufsstand zu. Davor angekommen, deutete ich auf einen gelben seh-parcha. »Sawl-e-nau mubarak«, sagte der Verkäufer und gab mir für meine 20 Dollar den verlangten Drachen samt hölzerner Spule Glas-tar. Ich bedankte mich und wünschte ihm ebenfalls ein glückliches neues Jahr. Zwischen Daumen und Zeigefinger prüfte ich die Schnur, wie wir es früher immer getan hatten, Hassan und ich. Der Verkäufer sah schmunzelnd zu, wie ich mir die Finger an den feinen Glassplittern aufritzte und blutig machte.
    Ich eilte mit dem Drachen zu Suhrab, der immer noch an dem Mülleimer lehnte, die Arme auf der Brust verschränkt. Er blickte zum Himmel hinauf.
    »Wie findest du den seh-parcha?«., fragte ich und hielt den Drachen, am Leistenkreuz gepackt, in die Höhe. Er bedachte mich nur mit einem flüchtigen Blick und schaute wieder in den Himmel. Regenwasser tropfte ihm aus den Haaren und rann über sein Gesicht.
    »Ich habe irgendwo einmal gelesen, dass man in Malaysia mit Drachen Fische fängt«, sagte ich. »Ich wette, das wusstest du noch nicht. Man befestigt eine Angelschnur am Drachen und lässt ihn überm Wasser schweben, so hoch, dass er keinen Schatten wirft und die Fische nicht verschreckt. Im alten China hat man sogar auf Schlachtfeldern Drachen steigen lassen, um den eigenen Truppen Zeichen zu geben. Das ist wahr. Ich binde dir keinen Bären auf.« Ich zeigte ihm meinen blutigen Daumen. »Die Schnur ist tipptopp.«
    Aus dem Augenwinkel registrierte ich, dass Soraya uns vom Zelt aus beobachtete. Im Unterschied zu mir hatte sie es aufgegeben, Suhrab zu animieren. Die unbeantworteten Fragen, seine ausdruckslosen Blicke, das Schweigen - all das schmerzte sie zu sehr. Sie hielt sich selbst zurück und hoffte darauf, das Suhrab irgendwann einen Schritt auf sie zumachen würde.
    Ich befeuchtete meinen Zeigefinger und
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