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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer
Autoren: Khaled Hosseini
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dabei«, fügte er immer hinzu und bedachte seinen Sohn mit einem finsteren Blick.
    »Ja, Vater«, murmelte Hassan dann und sah auf seine Füße hinunter. Aber er verriet mich nie. Verriet nie, dass der Spiegel ebenso wie das Schießen der Walnüsse auf den Nachbarhund immer meine Idee gewesen war.
    Die Pappeln säumten die mit roten Ziegelsteinen gepflasterte Auffahrt, die zu dem schmiedeeisernen Flügeltor führte. Das Tor wiederum öffnete sich auf eine Verlängerung der Auffahrt, die Vaters Anwesen durchquerte. Das Haus befand sich auf der linken Seite des Weges, der Garten am Ende.
    Alle waren sich einig, dass mein Vater, mein Baba, das schönste Haus im ganzen Wazir-Akbar-Khan-Viertel, einem neuen und wohlhabenden Stadtteil im Norden Kabuls, gebaut hatte. Manche hielten es sogar für das schönste Haus in ganz Kabul. Ein breiter, von Rosenbüschen flankierter Weg führte zu dem geräumigen Haus mit den Marmorböden und großen Fenstern. Mosaikfliesen mit komplizierten Mustern, von Baba sorgfältig in Isfahan ausgewählt, bedeckten die Böden der vier Badezimmer. Mit Goldfäden durchwirkte Gobelins, die Baba in Kalkutta gekauft hatte, zierten die Wände; ein kristallener Kronleuchter hing von der gewölbten Decke herab.
    Oben befanden sich mein Zimmer, Babas Zimmer und sein Arbeitszimmer, auch »Rauchzimmer« genannt, in dem es ständig nach Tabak und Zimt roch. Nachdem Ali das Abendessen serviert hatte, ruhten sich in diesem Zimmer Baba und seine Freunde in schwarzen Ledersesseln aus. Sie stopften ihre Pfeifen - was Baba immer als »füttern« bezeichnete - und unterhielten sich über ihre drei Lieblingsthemen: Politik, Geschäfte und Fußball. Manchmal fragte ich Baba, ob ich bei ihnen sitzen dürfe, aber Baba blieb im Türrahmen stehen und sagte: »Jetzt geh nur. Diese Zeit gehört den Erwachsenen. Warum liest du nicht eins deiner Bücher?« Dann schloss er die Tür, und ich blieb zurück und fragte mich, warum seine Zeit immer nur den Erwachsenen vorbehalten war. Ich setzte mich neben die Tür und zog die Knie an die Brust. Manchmal saß ich eine ganze Stunde so da, manchmal auch zwei, und lauschte ihrem Lachen und ihrem Plaudern.
    Im Wohnzimmer unten gab es eine halbrunde Wand mit speziell angefertigten Vitrinen. Darin standen gerahmte Familienfotos: ein altes, unscharfes Foto von meinem Großvater und König Nadir Shah, das 1931 gemacht worden war, zwei Jahre vor dem tödlichen Attentat auf den König; darauf sind sie mit einem toten Hirsch zu sehen, der vor ihren in kniehohen Stiefeln steckenden Füßen liegt, und über die Schulter haben sie Gewehre gehängt. Ein anderes Foto zeigte meine Eltern an ihrem Hochzeitsabend: ein schneidig aussehender Baba in einem schwarzen Anzug und meine Mutter, eine lächelnde junge Prinzessin in Weiß. Und da war Baba mit seinem besten Freund und Geschäftspartner, Rahim Khan. Die beiden stehen draußen vor unserem Haus. Keiner von ihnen lächelt. Ich bin auf diesem Foto noch ein Baby, und ein müder und grimmig dreinblickender Baba hält mich auf dem Arm, aber es ist Rahim Khans kleiner Finger, den ich mit meiner Hand umklammere.
    Der halbrunden Wand folgend, gelangte man zum Esszimmer, in dessen Mitte ein Mahagonitisch stand, an dem leicht dreißig Gäste Platz fanden - und angesichts der Vorliebe meines Vaters für aufwändige Partys geschah das fast jede Woche. Am anderen Ende des Esszimmers befand sich ein großer marmorner Kamin.
    Eine gläserne Schiebetür öffnete sich auf eine halbkreisförmige Terrasse, von der aus man einen knapp ein Hektar großen Garten und Kirschbaumreihen überblickte. Baba und Ali hatten entlang der östlichen Mauer einen kleinen Gemüsegarten angelegt, Tomaten, Minze, Paprika und eine Reihe Mais, der aber nie richtig gedieh. Hassan und ich hatten sie »Mauer des kränkelnden Maises« getauft.
    Am südlichen Ende des Gartens, im Schatten eines Mispelbaumes, befand sich die Dienstbotenunterkunft, eine bescheidene, kleine Lehmhütte, wo Hassan mit seinem Vater lebte. Und dort, in dieser kleinen Hütte, war Hassan im Winter des Jahres 1963, nur ein Jahr nach dem Tod meiner Mutter, die bei meiner Geburt gestorben war, zur Welt gekommen.
    In den achtzehn Jahren, die ich in dem Haus gelebt habe, habe ich Hassans und Alis Hütte nur rund ein Dutzend Mal betreten. Wenn die Sonne hinter den Hügeln versank und wir unser Spiel für den Tag beendet hatten, trennten sich unsere Wege. Ich ging an den Rosenbüschen vorbei auf Babas Villa zu und Hassan
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