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Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Titel: Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Szameit
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der wenigen Sekunden, in denen ihr das durch den Kopf ging, hat sich die Haltung des Mannes verändert. Er schaut sie lauernd an und preßt hervor: “Wennsiesichaufdieseweiseeinpaarzusatzpunkteverdienenwollen, suchensiesicheinenanderendummen!” Dann reißt er ihr mit einer blitzschnellen Bewegung das Etui aus der Hand und nestelt fahrig an seiner Brusttasche.
    Am liebsten würde Hendrikje losheulen, so elend ist ihr zumute. Irgend etwas stimmt nicht mehr, das Licht der. Tageslosung sticht ihr grell in die Augen und scheint heftig zu flackern, der Lärm um sie herum schwillt unerträglich an, sie spürt auf einmal ein Vibrieren in den Füßen, wenn ein Amigo vorbeirollt. Das sind die Quallen, zwei so kurz hintereinander zu lutschen ist heller Wahnsinn, denkt sie und schluchzt wehleidig auf.
    Da registrieren ihre überreizten Nerven ein Flüstern dicht hinter ihr. Lähmendes Entsetzen packt sie, als ihr die Worte ins Bewußtsein dringen: “Achtung, Mungo im Sektor 78 WM 12…, benötige Verstärkung…, Identifizierung nicht möglich, besitze immer noch keinen Psiegellokator…, Beschreibung des Mungos…” Die Stimme schildert exakt das Aussehen des Mannes vor ihr.
    Ruckartig dreht sie sich um und sieht gerade noch, wie ein Mann in der Schlange der Wartenden die Hand vom Mund nimmt. Sie tastet unwillkürlich nach ihrem Bauchnabel, wo jedem Neugeborenen ein Röntgenhologramm mit den persönlichen Daten, das Persönliche Siegel oder abgekürzt Psiegel, implantiert wird. Er kann ihre Identität also auch nicht feststellen. Hendrikje atmet erleichtert auf, dann betrachtet sie neugierig und ein wenig angewidert den Mops. Der inoffizielle Mitarbeiter des MOBS weicht ihrem Blick nicht aus. Polynesisch zwei, klassifiziert sie ihn automatisch, ein ganz exklusiver Phänotyp… Er lächelt sogar leicht. Hendrikje meint, beinahe geringschätzig.
    Die spontan eintretende tiefe Niedergeschlagenheit nimmt ihr alle Kraft, sie bringt es nicht einmal fertig, den Mungo mit einer Geste oder einem Blick zu warnen. Der steht immer noch abwartend da und beobachtet mißtrauisch die Umgebung, offensichtlich hat er den Mops gar nicht bemerkt.
    Inzwischen ruckt die Schlange wieder ein Stück voran, weil fünf Amigos kurz nacheinander ankommen. Hier auf der obersten Etage kann es schon einmal vorkommen, daß man bis zu fünf Minuten auf ein freies Fahrzeug warten muß, weil sich hier auch die Piers für die großen Schweber befinden. Mit dem Tubifex fährt Hendrikje nicht so gern, das Gedrängel und Geschubse in dieser Rohrpost für Menschen behagt ihr wenig, und lieber wartet sie ein Weilchen auf einen dieser kleinen Flitzer mit den walzenförmigen Reifen und der flachen, weit über den Fahrgastraum gezogenen Windschutzscheibe, die mit der dicken umlaufenden Gummimanschette ein wenig wie Skistiefel aussehen. Diese Vorliebe ist einer der wenigen negativen Punkte in ihrem Psychogramm, doch irgendwie fürchtet sie sich vor der ihr vorgeschlagenen Psychischen Optimierung, die sie von dieser bedenklichen Neigung zum Einzelgängertum befreien soll. Dabei will man doch nur ihr Bestes, sie weiß es ganz genau, das Wohl jedes einzelnen steht im Zentrum aller Bemühungen der Gesellschaft – so sagte es auch die vorgestrige Tageslosung.
    Hendrikje stutzt, als ihre Überlegungen diesen Punkt erreichen. Dann muß die Gemeinschaft doch recht haben, wenn sie Mungoismus als meldepflichtig deklariert – dann hat sie auch dabei nur das Wohl der Mungos im Sinn! Einem spontanen Impuls folgend, will sie noch einmal an den Mann herantreten und ihm erklären, daß er nichts zu befürchten hat, wenn er sich freiwillig meldet – wie es ohnehin viele dieser armen Kranken tun. Aber da bemerkt sie, daß sich der Mops wie zufällig neben den Mungo stellt und zwei kräftigen jungen Männern – baltisch sieben und griechisch-klassisch eins Alpha, ein ganz ausgefallener, aber ungemein attraktiver Phänotyp – in blutrot glühenden Schmeichelmoosüberwürfen, nach der Mode der letzten vier Stunden geschnitten, ein unauffälliges Zeichen gibt.
    Die beiden mustern mit wachsamen Blicken die Umgebung, so als wollten sie mögliche Fluchtwege erkennen, dann plötzlich ist die forschende Unruhe wie weggewischt aus ihren Gesichtern, und sie gehen freundlich grinsend auf den Mungo zu. Der klassische Grieche zieht ein Gerät aus der Tasche, das einer kleinen Taschenlampe ähnelt, und richtet es auf den Bauch des Mungos, der Sekunden wie festgebannt steht. Auch Hendrikje
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