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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder
Autoren: Hera Lind
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angeregt unterhielten. Triumph schwang in ihren Stimmen mit.
    Oh, das hörte sich gut an. Sehr gut sogar. Ich eilte zum Fenster: Sie hatten fröhliche Gesichter! Sie hatten etwas erreicht! Schnell spritzte ich mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht, zupfte meine Haare unter dem Kopftuch zurecht und schlüpfte in meine Sneakers. In diesem Moment klopfte es schon an meiner Tür: »Ade Schnehage! Die Verhandlung geht weiter!«
    »Ich komme!« Mit dem Herzklopfen einer Siebzehnjährigen eilte ich über den Hof in den Raum, in dem die Herren schon auf ihren Matratzen Platz genommen hatten. Wie Schatten huschten ein paar junge Männer mit Tabletts herum, reichten Tee und Gebäck und sausten lautlos wieder davon.
    »Ade Schnehage, wir haben gute Nachrichten!« Senator Hadji Rashid strahlte mich an, als hätte er gerade ganz Kunduz mit neuen Flachbildschirmen ausgestattet. Er hielt ein Schreiben in die Höhe: »Dadgul gibt alles zurück! Er entschuldigt sich bei dir und hat in Zukunft Hausarrest. Deiner Arbeit in Katachel steht nichts mehr im Wege.«
    »Ja?«
    Ich spürte ein freudiges Kribbeln, als würde ich in Champagner baden (nicht dass ich das je ausprobiert hatte, aber es fühlte sich einfach unvergleichlich gut an). »Dann hat sich der Kampf gelohnt?!«
    »Ja! Du musst nur noch unterschreiben!«
    Der Senator hielt mir das Blatt hin.
    »Soll ich?« Ich warf einen kleinen Seitenblick auf meinen Anwalt. Der nickte und überreichte mir mit großer Geste seinen Kugelschreiber aus der Innentasche seines Jackets.
    Mit zitternden Fingern unterschrieb ich, was ich doch nicht lesen konnte.
    »Kann mir das mal einer …«
    »Übersetzen? Aber natürlich, Ade Schnehage. Dafür sind wir ja da.« Osman übersetzte, was ich soeben unterschrieben hatte: »Frau Sybille Schnehage erklärt sich mit der Rückgabe folgender Güter einverstanden und begräbt hiermit das Kriegsbeil gegen Dadgul Delawar …«
    Um die Spannung noch zu steigern, machte er eine Kunstpause, und ich nickte erwartungsvoll: »Ja?!«
    »Zwei jirib am Fischteich.«
    »Und weiter?«
    Diese umgerechnet viertausend Quadratmeter Grund hörten sich zwar viel an, waren aber nichts wert, weil das Gelände inzwischen vermint worden war. Mir stockte der Atem. Der Raum um mich herum begann sich zu drehen. Ich sah die bärtigen Gesichter nur noch ganz verzerrt, und mir wurde schwindelig.
    »Das soll wohl ein Witz sein? Was noch?«
    Stolz wurde mir verkündet, dass Dadgul mir einen Teil der Immobilien, Fahrzeuge und Spendengelder rückübertragen müsse.
    Doch das reichte mir nicht. »Er muss alles zurückgeben! Ich muss meinen Spendern und Sponsoren gegenüber Rechenschaft ablegen!«
    »Aber mehr rückt Dadgul nicht heraus. Wir haben stundenlang verhandelt! Und du hast dich soeben einverstanden erklärt!« Rashid zeigte auf meine Unterschrift. In seinem Blick stand so etwas wie: »Und jetzt solltest du auch endlich Ruhe geben!« Spontan sprang ich auf, entriss ihm das Blatt und zerfetzte es in winzige Stücke.
    Enttäuscht raste ich aus dem Raum, in mein Zimmer, warf mich aufs Bett und heulte. Irgendwann beruhigte ich mich wieder. Immerhin, einen Teilsieg hatte ich errungen. Meine Arbeit konnte weitergehen. Aber fürs Erste war ich völlig erschöpft und wollte nur noch nach Hause.

47
    Wieder in Deutschland fuhr ich noch einmal mit Anwar nach Berlin. Daraufhin machte die afghanische Botschaft noch mehr Druck auf Kunduz. Unermüdlich kämpfte ich weiter: für meinen Verein, meine Ehre, ja für Anwar und seine Familie. Es war die reinste Sisyphusarbeit, das notwendige entlastende Material aus Kunduz geschickt zu bekommen, aber meine afghanischen Freunde halfen mir dabei.
    Nach und nach wendete sich das Blatt zu meinen Gunsten. Millimeterweise nur, mit bloßem Auge kaum erkennbar, aber doch. Und das nur, weil ich nicht die Hände in den Schoß gelegt und aufgegeben, sondern weil ich gekämpft hatte.
    Ein Jahr später hatte ich die Kraft, erneut nach Kunduz zu reisen.
    Bei Bürgermeister Hadji Haschem fühlte ich mich geborgen. Alle passten mit Argusaugen auf mich auf, lasen mir jeden Wunsch von den Lippen ab. Lächelnd stand ich auf dem Dach meines Gästehauses und genoss die Aussicht über Kunduz. Die Paten in Deutschland hatten wieder gespendet. Ich war fast rehabilitiert. Ich war wieder da, wo ich sein wollte. Und ich tat wieder das, was ich tun wollte: helfen.
    Das afghanische Fernsehen berichtete sogar über mich: Ade Sybille Schnehage war wieder da! Und so erschienen wie von
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