Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder
Autoren: Hera Lind
Vom Netzwerk:
es immer nur um schnelle Soforthilfe gegangen. In all den Jahren unserer Zusammenarbeit waren nachweislich so viele Schulen und Brunnen entstanden, so viele Witwen und Waisen unterstützt worden, dass es mir im Traum nicht eingefallen wäre, Dadgul könnte sich eines Tages selbst »schnelle Soforthilfe« zukommen lassen.
    Aber all das machte mich natürlich noch verdächtiger und unglaubwürdiger. Man nahm meine Fingerabdrücke, fotografierte mich, protokollierte meine Narben und Muttermale, als wäre ich eine Schwerverbrecherin.
    Irgendwann hielt ich es einfach nicht mehr aus.
    »Micki, ich muss wieder nach Afghanistan. Ich muss im Prozess gegen Dadgul persönlich aussagen. Das ist meine einzige Chance, wirklich rehabilitiert zu werden.« Weinend teilte ich meinem Mann die Entscheidung mit, als er von der Arbeit nach Hause kam.
    »Ich weiß«, sagte er nur. »Ich habe jeden Tag darauf gewartet, dass du so etwas sagst.« Er nahm mich nur kurz in den Arm und ging dann hinauf in sein Arbeitszimmer.
    Ich stand am offenen Fenster und sah hinaus. Draußen wurde es Frühling, aber die ersten warmen Sonnenstrahlen drangen nicht bis zu mir durch. Ich fühlte mich so allein und hilflos wie noch nie in meinem Leben. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich drehte mich um und sah in Mickis gütige Augen.
    »Es hat keinen Zweck, dass du dich hier noch länger quälst. Katachel e . V. ist dein Lebenswerk, Sybille. Und du wirst darum kämpfen. Mach der afghanischen Staatsanwaltschaft Beine, damit sie Dadgul endgültig das Handwerk legt.« Er hielt mir ein Flugticket unter die Nase, frisch aus dem Drucker: »Übermorgen landest du in Kunduz.«

46
    Anwars Bruder Tadj, Hadji Haschem – mit ihm war meine verstorbene Freundin Habiba verheiratet gewesen, inzwischen war er vom Polizeichef zum Bürgermeister von Kunduz aufgestiegen – und Dadguls ehemaliger Freund Osman, der inzwischen die Seiten gewechselt hatte, holten mich vom Flughafen ab.
    »Okay, Jungs. Dann lasst uns mal losfahren.« Ich gab mich salopp, aber innerlich bebte ich vor Angst. Ich brauchte mehr Schutz als diese drei Pappenheimer! Deshalb bat ich meine Männer als Erstes, mich zu meinen deutschen Freunden in ihrer streng bewachten Festung hoch über der Stadt zu fahren.
    »Die sollen wenigstens wissen, dass ich im Lande bin«, sagte ich fest entschlossen.
    Dem deutschen Offizier im Vorzimmer des Oberst fiel die Kinnlade runter, als er mich sah. Ich war hier inzwischen bekannt wie ein bunter Hund.
    »Ja, Junge«, sagte ich knapp. »Hier stehe ich leibhaftig und will Ihren Chef sprechen.«
    »Der Oberst ist nicht zu erreichen.« Der Offizier starrte mich an wie eine Erscheinung.
    »Dann notieren Sie sich wenigstens meine Adresse in Kunduz«, regte ich freundlich an. »Ich wohne beim Bürgermeister Hadji Haschem …«
    Der Mann machte keinerlei Anstalten, einen Stift zu zücken. Mein Ton wurde flehender. »Morgen beginnt der Prozess gegen Dadgul Delawar. Ich bin gekommen, um persönlich gegen ihn auszusagen. Zu meinem Schutz brauche ich dringend einen oder zwei deutsche Soldaten. Und einen Übersetzer, bitte!«
    »Ihr Streit mit Herrn Delawar ist Ihre Privatangelegenheit!«
    »Nein, das stimmt so nicht!«, stellte ich richtig. »Es geht um mein Hilfsprojekt Katachel e . V., um Hunderte von Menschen, die ohne mich verloren sind!«
    Der Offizier schüttelte den Kopf. »Frau Schnehage, wir haben Sie gewarnt und Ihnen gesagt, dass Sie nicht nach Kunduz kommen sollen! Das ist ein einziges Pulverfass! Hier fliegen jeden Tag Menschen und Häuser in die Luft! Um Ihre Privatfehde können wir uns da nicht auch noch kümmern.«
    »Ich habe den Soldaten der Bundeswehr immer zur Verfügung gestanden«, hielt ich dagegen. »Aber jetzt brauche ich zur Abwechslung mal eure Hilfe!«
    »Wie gesagt: Die Zeiten haben sich geändert. Wir befinden uns hier im Ausnahmezustand, und Sie sollten sehen, dass Sie nach Hause kommen.«
    »Da komme ich ja gerade her.« Ich stemmte die Hände in die Hüften. »Kann ich jetzt bitte Ihren Vorgesetzten sprechen?!«
    »Tut mir leid. Unser Oberst sieht keinen Gesprächsbedarf.« Der Offizier stand auf und wies mit einer knappen Kopfbewegung zur Tür. »Auf Wiedersehen, Frau Schnehage. Oder besser gesagt: Leben Sie wohl.«
    »Hallo? Sie sind hier mit tausendfünfhundert Mann zum Schutz der Menschen in Afghanistan, und – wer hätte das gedacht – ich brauche Schutz.«
    »Dann rufen Sie die afghanische Polizei.«
    Wir starrten uns an,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher