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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder
Autoren: Hera Lind
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als kämen wir von zwei völlig fremden Planeten.
    »Sagen Sie mal, habe ich mein Kopftuch im Mund, oder warum verstehen Sie mich so schlecht? Ich werde massiv bedroht! Ich begebe mich in die Höhle des Löwen, um gegen ihn auszusagen! Um mein Hilfsprojekt zu retten! Von dem vierhundert Witwen und Waisen abhängen, die sonst verrecken! Klar!? Hiermit erstatte ich Meldung darüber!«
    »Und hiermit erkläre ich ganz offiziell, dass das IHRE PRIVATSACHE ist und die Bundeswehr nichts angeht!«
    Als ich wieder ins Auto zu meinen Männern stieg, glaubte ich, diesen Dialog nur geträumt zu haben.
    »Sieh nur, Ade Sheni Hagei. « Wir betraten Hadji Haschems Hof, von dem mein neues Büro in Kunduz abging. »Das sind die Sachen, die Dadguls Leute auf Druck der Staatsanwaltschaft zurückgeben mussten.«
    Ich starrte auf unser ehemaliges Vereinsfahrzeug, in dem ich so oft mit Dadgul gesessen hatte, und auf den Schulbus. Beide waren zerstört: Die Scheinwerfer waren herausgerissen, die Sitze aufgeschlitzt, der Motor unbrauchbar.
    Dadgul hatte sie vorsätzlich kaputtgemacht, damit wir sie nicht mehr gebrauchen konnten.
    »Willst du die Orthopädie sehen?«
    Wir fuhren zu der Werkstatt für Prothesen und Gehhilfen aller Art, die eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für afghanische Männer gewesen war, die außer schießen und kämpfen nichts gelernt hatten.
    Ich prallte zurück, als ich in die verdreckten leeren Räume kam: Die Computer waren abgebaut worden, die Möbel verschwunden, die Brunnenpumpe war außer Betrieb, und die Toiletten befanden sich in einem unbeschreiblichen Zustand.
    »Es gibt viel zu tun«, sagte ich, während ich mir Luft zufächelte. »Packen wir’s an.«
    Aber zuerst kam der Prozess. Zwei Staatsanwälte aus Kabul reisten extra dafür an, und auch für mich hatte Osman einen Anwalt organisiert. Er hieß Bismilah, trug westliche Kleidung und machte einen professionellen Eindruck. Konnte ich ihm trauen? Den Vorsitz hatte Senator Hadji Rashid aus dem Ältestenrat.
    Immer, wenn ich dachte: Was mache ich eigentlich hier? Warum fahre ich nicht nach Bad Driburg und halte meine Krampfadern ins Kneipp’sche Tretbecken wie andere Frauen meines Alters auch?, sah ich die ausgezehrten Gesichter der Witwen vor mir, die flehend ihre Hände ausstreckten. Diese Menschen und deren Familien warteten darauf, dass wieder Friede einkehrte in Katachel, dass unser Hilfsprojekt endlich wieder funktionierte. Sie hatten schon bessere Zeiten erlebt nach dem schrecklichen Krieg: Ihr Dorf hatte geblüht, Straßen und Brücken waren intakt gewesen, es hatte Arbeit gegeben und Brot, in den Schulen hatten lernbegierige Kinder gesessen, und die Brunnen auf den Schulhöfen hatten vor Frischwasser gesprudelt. Die kleinen Mädchen waren nicht mehr zwangsverheiratet, sondern zur Schule geschickt worden, und in den Höfen, die ich eigenhändig gefliest hatte, hatten die Nähmaschinen gerattert, die ich eigenhändig angeschleppt hatte. Und nun würde ich Dadgul eigenhändig aus dem Weg räumen, das war ich ihnen schuldig.
    Nur deshalb riskierte ich mein Leben und hielt diese quälende Prozedur hier durch.
    Verhandelt wurde beim Bürgermeister Hadji Haschem, wo ich auch untergebracht war. Die Staatsanwälte stellten mir Fragen, die Osman übersetzte. Ich antwortete, belegte meine Forderungen mit endlosen Listen und Quittungen. Osman schrieb alles in Dari um. Es dauerte sechs Tage, bis die Anhörung durchgeführt worden war. Das Ganze war entsetzlich ermüdend, und ich brauchte immer öfter eine Pause.
    Schließlich wurde beschlossen, zum Ortstermin nach Katachel zu fahren, um die Grundstücke, Immobilien und Fahrzeuge, die ich zurückforderte, in Augenschein zu nehmen.
    Dadgul ließ sich von seinem Cousin Khaista Khan vertreten – der eigentlich sein Bruder war, wie sich plötzlich herausstellte.
    »Es ist besser wenn Sie hierbleiben, Ade Schnehage. Wir dürfen nichts riskieren. Ruhen Sie sich aus.« Mein Anwalt legte mir beschwichtigend die Hand auf den Arm. »Die Hauptarbeit ist getan. Wir legen der Gegenseite die Liste mit Ihren Forderungen vor und hoffen auf eine friedliche Einigung.«
    An ein Mittagsschläfchen war nicht zu denken. Was würde Dadgul tun? Wie würde er sich rausreden? Was würde er zu den Bombenanschlägen sagen? Würde er diese Männer auch bestechen und auf seine Seite ziehen? Hatte ich auch nur den Hauch einer Chance?
    Nach Stunden kamen die Männer zurück. Ich hörte, wie sie lachend aus den Autos sprangen und sich
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