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Drachenglut

Titel: Drachenglut
Autoren: Jonathan Stroud
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Augenblick wurde er aus den Gedanken seines Bruders geschleudert, als trüge ihn eine große Welle davon.
    Erst war er wie betäubt und verwirrt. Dann stabil i sierte sich sein Bewusstsein wieder, er hob den Kopf und sah hinunter in den Wirrinlow.
    Von seinem Standort aus konnte er drei Viertel der Senke überblicken. Der blonde, dünne junge Mann war ihm am nächsten. Er drehte ihm den Rücken zu und hatte den Kopf, von dem eine unheilschwangere, böse Konzentration ausstrahlte, nach unten geneigt. Stephen brauchte seine Augen nicht zu sehen, er wusste auch so, dass der dort den BLICK einsetzte und ihn auf die Mitte der Senke gerichtet hatte.
    Die Vibration des BLICKS breitete sich in dem Kreis aus. Die anderen waren starr vor Aufmerksa m keit und warteten schweigend. In der Mitte stand M i chael neben dem Stuhl, als wäre er aus Stein geme i ßelt.
    Jetzt gab es wieder eine Vibration, anders als die erste. Sie kam von Geoffrey Pilate, dem Kaufmann aus Fordrace. Seine Hände waren wie zum Gebet gefaltet, aber die Fingerspitzen zeigten zur Mitte des Kreises hin. Plötzlich entsprang ihnen mit peitsche n der Heftigkeit eine lautlose, dunkelrote Flamme. Ein paar Flammenzungen schlängelten eifrig zu den Pe r sonen in der Mitte, aber der bleiche Pilate gab sich mit verdrehten Augen alle Mühe, das Feuer unter Kontrolle zu halten. Es brannte gleichmä ßig, flacke r te um seine Finger, während sich das Knistern in der Senke ausbreitete, von den Felsen und Erdwällen w i derhallte und an Stärke zunahm.
    Stephen rieb sich die Ohren. Sie schmerzten, als würde er tief in einen grundlosen Teich tauchen.
     
    Etwas weiter lag Tom bäuchlings zwischen zwei au f recht stehenden Steinblöcken und presste den Speer an sich. Ein rostiger Splitter der Speerspitze berührte seine Wange, er roch den scharfen Metal l geruch. Als er hinunter zu Sarah schaute, die fünfzig Meter we i ter auf dem Boden der Senke kauerte, hämmerte sein Herz schmerzhaft, und seine Mun d höhle klebte vor getrocknetem Speichel.
    Oh Gott, hilf mir!, dachte er. Sag mir, was ich tun soll.
    Er bewegte leicht den Kopf. Das alte Eisen drüc k te gegen seine Wange und hinterließ eine braune Spur.
     
    Jetzt hallte der Ton der dritten Gabe durch die Senke. Vanessa Sawcroft stand gegenüber von dem Mann mit den brennenden Händen und spannte sich an. Sie presste ihren verletzten Arm an die Brust, der andere hing starr herunter. Langsam erhob sie sich in die Luft, zuerst mit fließender Leichtigkeit, dann mit plötzlichem Rucken und Wackeln. Stephen sah, wie sich ihr Gesicht vor Schmerzen verkrampfte, und er vernahm ihre mentale Botschaft, die plötzlich das anschwellende Summen des Kreises übertönte.
    George, sagte sie. Mach schnell. Der Sog ist schrecklich!
    Sofort kam die Antwort.
    Das innere Auge, die Vierte Gabe, war um alle herum, blickte in ihre Zweifel und Ängste, glitt über den Schmerz ihrer Anstrengung und beruhigte sie durch seine Gegenwart. Mr Cleevers Energie wurde entfesselt. Er ließ seine Kraft über die Senke flu t en, sie umschlang und wiegte jeden der anderen drei und stärkte ihre restlichen Kräfte für den alle r letzten Ruf.
     
    Das Eisen brannte kalt an Toms Wange, und in di e sem Augenblick glitt Mr Cleevers Energie über ihm zwischen den Steinen dahin, nahm ihn nicht wahr und verschwand.
     
    Stephen erwischte es ohne Vorwarnung. Ihm blieb keine Zeit mehr für die Errichtung einer Abwehr, aber die hätte ihm ohnehin nichts genützt. Er duckte sich unwillkürlich, aber vergeblich, und Mr Cleevers BLICK traf ihn hart. Um ihn herum wütete es und wühlte es, er schrie vor Entsetzen und Verzweiflung laut auf – dann flutete die Wut rasend schnell über ihn hinweg, und zu Stephens großem Erstaunen lag er auf dem Rücken zwischen den Felsblöcken und war noch am Leben.
    Tom sprang mit dem Speer in der Hand hinter den Felsen hervor und stand bei ihm.
    »Stephen – was war das?«
    »Das war Cleever, ich war wie ausgelöscht, er b e herrschte all meine Gedanken. Nein, mir geht’s gut. Aus irgendeinem Grund ist er wieder weg. Hat er dich nicht gesehen?«
    »Nein. Aber wenn er dich erspäht hat, sollten wir besser von hier weg.«
    »Das brauchen wir nicht – es geht nicht mehr um uns. Fühlst du es denn nicht? Es hört sich an wie ein Lied.«
    »Ich höre nichts.«
    »Es ist auch kein richtiges Lied – aber alle Kräfte haben sich miteinander verbunden, sie wirken z u sammen. Ich kann nicht mehr klar denken. Es wird immer schlimmer –
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