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Drachenglut

Titel: Drachenglut
Autoren: Jonathan Stroud
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tigt.
    »Tom … « Elizabeth Price, die Kirchenvorsteherin, streckte ihren Kopf durch den Türspalt. »Der Vora r beiter möchte dich sprechen – wenn du nicht zu sehr beschäftigt bist. Bist du zu beschäftigt, Tom?«
    »Viel zu beschäftigt«, sagte Pfarrer Aubrey. »Aber ich komme gleich. Was ist es denn diesmal?«
    »Weiß ich nicht genau. Sie haben was gefunden. Sie wollen mir nicht sagen, was es ist, aber sie arbe i ten nicht weiter, deshalb solltest du lieber kommen und dich drum kümmern.«
    »Zweifellos eine Teepause. Na gut, dann wollen wir uns mal ansehen, um was es geht.«
    Sie nahmen den längeren Weg durch das Haup t schiff, weil der Seiteneingang durch die Geräte der A r beiter blockiert war. In der Kirche von St. Wyn d ham war es nie warm, dennoch fühlte Tom die nachmittä g liche Hitze immer noch gnadenlos von außen drücken. Alle zehn Schritte schossen Sonnenlichtk e gel durch die Buntglasfenster herunter, ang e füllt mit lautlosen Spiralen aus tanzendem Staub. Seltsamerweise eri n nerte sich Tom plötzlich an einen Gedich t vers.
    Er sagte: »Liebe hieß mich willkommen: doch meine Seele zog sich zurück, schmutzig von Staub und Sünde … Na ja, und heute handelt es sich bloß um Staub und Hitze. Es ist ein Wunder, dass wir nicht ersticken.«
    Eine alte Frau saß in der letzten Bankreihe vor der Tür. Tom beäugte sie im Näherkommen misstra u isch. Er war erst seit drei Monaten in St. Wyndham, und er hatte nur drei Tage gebraucht, um Mrs Gabriel kennenzulernen und sie unsympathisch zu finden. Wie immer hatte sie ihren dicken roten Schal umg e bunden und sah missbilligend drein. Tom zwang sich zu einem freundlichen Lächeln und versuchte erfol g los, ungeschoren an ihr vorbeizukommen.
    »Schämen Sie sich denn nicht, Herr Pfarrer?« Sie sah stur geradeaus zu dem weit entfernten Altar hin.
    Tom und Elizabeth blieben stehen.
    »Schämen, Mrs Gabriel? Warum denn?«, fragte Tom, obwohl er genau Bescheid wusste.
    »Wegen des Sakrilegs, das Sie begehen, indem Sie den Kirchhof aufgraben!« Sie wandte sich ihm nicht zu. »Das wäre bei Pfarrer Staples nie passiert, und auch nicht bei Pfarrer Morrison.«
    »Mrs Gabriel, wir haben doch schon darüber gespr o chen«, holte Tom aus, aber Elizabeth unterbrach ihn.
    »Ich geh schon mal vor und sage Mr Purdew, dass du gleich kommst«, sagte sie und verschwand eilig durch das Westportal.
    Tom sah ihr neidisch nach.
    »Der Kirchhof ist heiliger Boden«, fuhr Mrs G a briel fort und starrte immer noch zum Altar hin. »Wobei ich wohl kaum erwarten kann, dass so ein Begriff Ihnen etwas bedeutet, junger Mann. Diese Leute, die hier begraben sind, hatten bestimmte Wünsche, was ihre letzte Ruhe angeht – ganz egal, wie lang das her ist. Und jetzt graben Sie sie aus.«
    »Mrs Gabriel«, sagte Tom und trat von einem Fuß auf den andern. »Sie müssen sich deshalb wirklich keine Sorgen machen. Das habe ich Ihnen doch schon erklärt. Die Grundmauern der Kirche geben an der Nordseite etwas nach. Das ist nicht gefährlich, aber wir müssen sie abstützen. Deshalb graben die Männer da draußen. Und weil nie jemand auf dieser Seite der Kirche begraben wurde, besteht wohl kaum eine Möglichkeit, dass wir die letzte Ruhe von i r gendjemandem stören.«
    Er holte tief Luft und fragte sich, ob er gewonnen hatte. Zum ersten Mal wandte ihm Mrs Gabriel jetzt das Gesicht zu.
    »Und trotzdem meine ich … «, fing sie an. Doch Tom reichte es jetzt. »Es tut mir leid, Mrs Gabriel, aber ich muss mich beeilen. Ich habe gleich eine Si t zung. Wir sehen uns dann hoffentlich am Sonntag.«
    Tom nickte ihr lächelnd zu, eilte weiter und ließ die alte Frau allein in der Kirche sitzen. Als er das Portal öffnete, hörte er ihre letzte Unverschämtheit.
    »Wie ich Sie kenne, Herr Pfarrer, finden Sie b e stimmt auch einen Grund, um mich nach meinem Tod auszugraben.«
    Das werde ich mir tunlichst verkneifen, dachte Tom im Hinausgehen.
     
    Der Kirchhof der Gemeinde Fordrace zog sich in e i nem geschlossenen Ring um die Kirche, umgeben von einer alten Steinmauer. Auf drei Seiten der Ki r che erstreckte sich ein weites, sonniges Grundstück, durchzogen von wild durcheinander stehenden, sehr gepflegten Grabsteinen. Doch im Norden von St. Wyndham lag ein schmaler Grasstreifen fast immer im Schatten. An der Kirche vorbei führte ein Weg entlang und eine von vier alten Eiben stand g e krümmt an der Mauer. Hier gab es keine Grabsteine und keinerlei Anzeichen, dass die Wiese jemals in der langen,
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