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Dornröschens Erlösung

Dornröschens Erlösung

Titel: Dornröschens Erlösung
Autoren: Anne Roquelaure
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Eines Nachts vertraute Tristan mir unter Tränen der
Freude an, dass die Königin ihn an Nicolas übergeben würde. Er würde Nicolas'
privates Pony sein und wieder in Nicolas' Gemächern schlafen. Er war außer sich
vor Glück.
    “Ich freue mich für dich“, sagte ich.
    Doch was würde mit mir geschehen, wenn der Moment gekommen
war? Würde man mich auf den Auktionsblock bringen und an einen niederträchtigen,
alten Schuster verkaufen, damit ich seinen Laden auskehrte, während die Ponys
in all ihrer Pracht vorübertrotteten? Ach! Ich durfte gar nicht daran denken. Tag
um Tag verstrich. . . Auf dem Erholungshof verschlang ich Jerard, als wäre
jeder Augenblick unser letzter. Und eines Abends, als es bereits dämmerte, und
ich soeben fertig war mit Jerard und ihn in die Arme schloss, um noch ein wenig
mit ihm zu schmusen, sah ich plötzlich ein Paar Stiefel genau vor mir. Und als ich
aufschaute, sah ich, dass es der Hauptmann der Garde war. Er kam sonst nie
hierher. Ich wurde blass.
    “Mein Prinz“, sagte er, „bitte erhebt Euch. Ich habe eine
Nachricht von größter Wichtigkeit. Ich muss Euch bitten, mit mir zu kommen.“
    „Nein!“ rief ich. Ich starrte ihn erschrocken an. „Es kann
noch nicht an der Zeit sein! Ich muss noch drei weitere Jahre dienen!“
    Wir alle hatten Dornröschens Schreie vernommen, als sie von
ihrer Freilassung erfahren hatte. Und ich wollte nun ebenso laut brüllen.
    “Ich fürchte, es ist die Wahrheit, Prinz!“
    Er streckte die Hand aus und half mir, aufzustehen. Die Verlegenheit
zwischen uns war erstaunlich. Im Stall warteten bereits Kleider und zwei junge
Burschen auf mich, die mir halfen, die Kleider anzulegen.
    “Muss das denn hier geschehen!“ entrüstete ich mich.
    Ich war wütend, doch ich bemühte mich, meinen Kummer und
meinen tiefen Schrecken zu verbergen. Ich starrte Gareth an, während die Burschen
mein Gewand zuknöpften und meine Hose zuschnürten.
    „Hättet ihr nicht den Anstand zeigen können, mich aufs Schloss
zu bringen für dieses kleine Ritual? Ich meine, ich habe noch nie erlebt, dass
es in gebührender Weise hier auf dem strohbedeckten Boden vollzogen worden ist.“
    „Vergebt mir, Prinz!“ sagte der Hauptmann. „Aber die
Nachricht konnte nicht warten.“
    Er sah zu der offenen Tür. Ich bemerkte zwei der königlichen
Ratgeber, die mich beide schon genommen hatten, und die nun mit gesenktem Haupt
dastanden. Ich war kurz davor, in Tränen auszubrechen. Wieder sah ich Gareth an.
Auch er kämpfte gegen die Tränen an.
    “Lebt wohl, mein hübscher Prinz“, sagte er, kniete sich ins
Stroh und küsste meine Hand.
    “Prinz ist nicht die gebührende Anrede für unseren gnädigen
Verbündeten“, sagte einer der Ratgeber und trat vor. „Eure Majestät, ich habe
Euch die traurige Kunde mitzuteilen, dass Euer Vater gestorben ist und dass Ihr
nun der Herrscher über Euer Königreich seid. Der König ist tot! Lang lebe der
König!“
    „Zum Teufel mit ihm“, flüsterte ich. „Ein elender Bastard
war er, nichts weiter. Und wenn er gekonnt hätte, hätte er es sich ausgesucht, genau
zu diesem Zeitpunkt seinen letzten Atemzug zu tun.“

Der Moment der Wahrheit
    Es blieb keine Zeit, lange auf dem Schloss zu verweilen. Ich
wusste, dass mein Königreich ohne Herrscher in Anarchie fiel. Meine beiden Brüder
waren Idioten, und der Hauptmann der Armee, obgleich meinem Vater treu ergeben,
würde nun versuchen, die Macht an sich zu reißen. Nach einer einstündigen
Konferenz mit der Königin, bei der wir hauptsächlich über Diplomatie und Verteidigungsmaßnahmen
sprachen, machte ich mich auf den Weg. Und mit mir nahm ich eine Menge
Kostbarkeiten, die sie mir überreicht hatte, und ebenso einige kleine, liebliche
Schmuckgegenstände und Andenken an das Leben im Dorf und auf dem Schloss.
    Ich hatte mich immer noch nicht an die hinderlichen Kleider
gewöhnt, und sie waren mir lästig. Unzählige Prinzen hatten diese plötzliche
Freilassung, den Schock des Ankleidens und die ganze Zeremonie erlebt, aber nur
wenige mussten die Zügel der Regierungsgewalt über das Königreich aufnehmen, in
das sie zurückkehrten. Mir blieb nicht die Zeit, zu lamentieren oder Rast zu
machen an einem Wirtshaus und mich bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken. Ich
erreichte mein Schloss in der zweiten Nacht, und in den drei darauffolgenden
Tagen brachte ich alles wieder ins Lot.
    Mein Vater war bereits bestattet. In diesem Land musste nun
eine starke Hand regieren. Und ich machte allen und
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