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Dornentöchter

Dornentöchter

Titel: Dornentöchter
Autoren: Josephine Pennicott
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verwirrt und in die Bettlaken und ihren Alptraum verstrickt. Sie hörte den Türklopfer unten, was sich möglicherweise mit ihrem Traum vermischt hatte. Sie lief zum Fenster und sah etwas Buntes auf der Türschwelle liegen. Gerade noch rechtzeitig hob sie den Blick, um eine schick gekleidete blonde Frau ungefähr in ihrem Alter durchs Tor gehen zu sehen. Die Frau blieb stehen und schaute zum Haus hinauf, wo ihre Blicke sich eine Sekunde lang begegneten, ehe Sadie vom Fenster zurückwich. Wie peinlich. Die Besucherin konnte wahrscheinlich sehen, dass Sadie sich gerade erst aus dem Bett gequält hatte.
    »Sie hat etwas vor die Tür gestellt.« Sadie wandte sich an Betty. »Lauf doch mal runter und schau nach, was es ist, während ich dusche.«
    Das »Etwas vor der Tür« entpuppte sich als ein Korb mit selbstgemachter Marmelade und Chutneys, zusammen mit einer kleinen Karte, auf der stand: Willkommen in Pencubitt. Ich hoffe, Sie werden in unserem Dorf sehr glücklich sein. Von Ihrer Nachbarin, Maria.
    »Wie lieb«, stellte Sadie fest, die alle Sorgen, die sie während ihres unruhigen Schlafes gequält hatten, beiseiteschob. Vielleicht würde das Leben in Pencubitt doch nicht die soziale Einöde sein, die sie sich vergangene Nacht ausgemalt hatte. Nachbarn, die als Willkommensgruß ein Geschenk vorbeibrachten, hätte Marguerite auf jeden Fall gutgeheißen. Es war überraschend, dass eine solche kleine Geste der Freundlichkeit dem Empfänger so viel bedeuten konnte. Sadie nahm sich vor herauszufinden, wo Maria wohnte, und vorbeizugehen, um sich zu bedanken.
    Sie zogen sich rasch an, um das Dorf zu erkunden. In dem kleinen Fischerort hatte sich im Lauf der Jahre wenig verändert, obwohl er inzwischen als eines von Tasmaniens Haupttouristenzielen beworben wurde. Nur einige wenige Autos fuhren langsam an ihnen vorbei, als Sadie und Betty eine lange, kurvige Straße hinunterspazierten, die von Kiefern gesäumt war. Die Hauptstraße sah genauso aus, wie die Postkarten es versprachen: mit Teestuben und Läden wie aus einem Enid-Blighton-Roman, die Namen wie »Der gestrandete Wal«, »Ye Olde Chocolate Shoppe« oder »Teestube zum schaukelnden Anker« trugen. Hinter der Touristenmeile lagen ein großer Supermarkt, der Gemeindesaal und ein kleiner Kindergarten am oberen Ende des Städtchens, in der Nähe der katholischen Kirche.
    Auf der Landzunge auf der anderen Seite der Bucht thronte das Blackness House, die prächtige Kolonialvilla des Ortes.
    »Stell dir vor, dort zu leben«, meinte Betty. »Die müssen so einsam gewesen sein. Und was für ein grässlicher Name noch dazu.«
    »Da wohne ich auch lieber im Poet’s Cottage«, stimmte Sadie ihr zu und umarmte ihre Tochter. »Im Blackness House gibt es zu viele Zimmer zu putzen. Der Name stammt von einem alten schottischen Schloss, Blackness Castle – der Vater oder irgendein anderer Verwandter des tasmanischen Besitzers wurde angeblich dort eingesperrt und ist im Kerker gestorben. Wenn es irgendwo in Pencubitt spukt, dann sicher an diesem Ort.« Ihr fiel noch etwas anderes ein. »Wusstest du, dass das Poet’s Cottage vom selben Architekten entworfen wurde wie das Blackness House? Edward Frick Hellyer – der hat auch das Poet’s gebaut. Zu seiner Zeit war er recht bekannt, aber angeblich hat er sich 1837 das Leben genommen.«
    »Echt?« Betty betrachtete immer noch die Villa in der Ferne. »Das klingt schaurig. Ob er sich wohl im Poet’s umgebracht hat? Dann hätten wir schon einen Mord und einen Selbstmord.« Sie wandte sich an Sadie und fröstelte in der frischen Meerbrise. »Ich bin am Verhungern, Mum. Können wir was essen gehen?«
    Sadie traten die Tränen in die Augen, aber sie versuchte, sie vor ihrer Tochter zu verbergen, denn jegliche Emotion zum Thema Essen konnte für Betty gefährlich sein. Es war so lange her, seit ihre Tochter den Wunsch nach Essen geäußert hatte, dass ein solch normaler Satz aus ihrem Mund fast schon überwältigend war.
    »Natürlich können wir das, mein Schatz.«
    Als Sadie und Betty ins Dorf zurückspazierten und versuchten zu entscheiden, wo sie essen wollten, kamen sie an einer älteren Dame vorbei, die auf einer Holzbank vor einem Steincottage die Wintersonne genoss. Zu ihren Füßen lag ein Malteserhund. Ihr kleiner Garten war erfüllt von Seidelbast, Leinkraut, Kamille, Gänseblümchen, roten Geranien, Mohnblüten, Schmucklilien, Rosen und Lavendel. Seagull Cottage stand auf einer kleinen weißen Tafel an der Tür. Die alte Frau
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