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Dornentöchter

Dornentöchter

Titel: Dornentöchter
Autoren: Josephine Pennicott
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Über sie gebeugt der Teufel, der lange Stränge von etwas Schrecklichem aus ihrem Bauch zog. Der Geruch von Blut. Die Grunzlaute des Teufels waren schauerlich: ein zufriedenes, falsches Geräusch. Er drückte sich an ihre Mutter, stöhnend, fauchend und mit wildem Gebrüll. Mutters Körper zuckte und gab kleine Laute von sich, die für ihre Tochter keinen Sinn ergaben.
    Sie stand draußen im Hof und der Himmel trug immer noch seine schwere Schneelast. Marguerite spielte mit ihrer Puppe, als sei nichts geschehen. Vielleicht war es ja nichts sonderlich Wichtiges gewesen.
    Thomasina verdrückte sich hinter einen Busch, zog ihre Unterwäsche herunter, hockte sich hin und gab dem Druck ihrer Blase nach. Dampf stieg vom Urinstrahl auf, und ein paar Tropfen spritzten auf ihre neuen Schuhe. Sehr gut. Sie hasste diese Schuhe.
    Sie dachte wieder an den dunklen Keller und die Bestie, die Mutter dort angekettet hielt. Die jetzt ihre Kerkermeisterin verzehrte. »Geschieht ihr recht«, murmelte sie. »Geschieht ihr recht.«
    Sie spürte eine Bewegung hinter sich und wusste, dass etwas Schreckliches nahte. Langsam drehte sie den Kopf und erblickte mit wachsendem Entsetzen das, was dort stand – nicht der Teufel, endlich aus seinem Kellerverlies befreit, sondern etwas Schlimmeres. Am ganzen Leib zitternd, schloss Thomasina die Augen: Sie wusste, wie sie das Gespenst vertreiben konnte – Angel hatte es ihr beigebracht. Mit geschlossenen Augen summte sie eine Melodie vor sich hin. Eines wusste sie nämlich sicher über Geister: Wenn man sie nicht sehen konnte, dann waren sie auch nicht da.

KAPITEL 1
Rückkehr ins Poet’s Cottage
Pencubitt, Tasmanien, Oktober, Gegenwart
    Die Einheimischen behaupteten, es hätten schon immer Dichter dort gelebt. Es war, als riefe das Haus nach den Seinen.
    Sadie und Betty verstummten, als sie das beeindruckende, im georgianischen Stil erbaute Haus mit dem halben Dutzend Schornsteinen auf dem Blechdach vor sich sahen. Die Fassade war von einer üppigen Kletterrosenpracht bedeckt. Das Poet’s Cottage schien sie herbeizuwinken, als würde sogar das Fundament spüren, dass die Familie heimkehrte. »Das ist ja traumhaft!« Betty klang begeisterter, als Sadie zu hoffen gewagt hatte. »Wie aus einem dieser BBC -Filme!«
    Dies war also das Haus, in dem Sadies unkonventionelle Großmutter, Pearl Tatlow, in den dreißiger Jahren die Einwohner von Pencubitt mit ihren »Jazz und Mord«-Partys geschockt hatte. Sadie war mit den Geschichten darüber aufgewachsen, was für exotische Möbel Pearl aus aller Welt hatte herbeischaffen lassen und mit welchen Statuen sie die verwunschenen Gärten des Hauses gefüllt hatte – Skulpturen, die Figuren aus ihren Büchern darstellten: die Hairy-Scary-Elfen, die Stachelranken-Männer, Kenny Kookaburra, Maisie M. Magpie, Polly Possum, Harriet Huntsman und andere. Nachdem Pearls Werke in den 1930 ern nur eine begrenzte Berühmtheit erlangten, waren sie nun, im Zuge des wiederauflebenden Interesses an australischen Schriftstellerinnen, erneut en vogue. Sadie war überzeugt, dass es sich um den perfekten Zeitpunkt für ihr eigenes Buch über Pearl handelte. Seit Jahren träumte sie schon davon, es zu schreiben, und hoffte, dass der Aufenthalt im Poet’s Cottage ihr die nötige Inspiration liefern würde.
    Sadies Handy klingelte und unterbrach ihren Tagtraum. Sie holte es aus der Tasche. Auf dem Display leuchtete Jacks Name auf. Der konnte warten.
    »War das Dad?«, wollte Betty wissen und wirkte einen Moment lang verstimmt.
    »Ja. Ich rufe ihn später zurück.« Sadie bemühte sich um einen neutralen Tonfall. Betty hatte schon genug durchgemacht und musste sich jetzt nicht auch noch Gedanken über die Wut ihrer Mutter auf ihren Vater machen.
    Trotzdem war auf Jack Verlass, dass er selbst diesen Moment störte. Das Poet’s Cottage beschäftigte Sadie schon seit Jahren. Jetzt befand sie sich endlich in greifbarer Nähe jenes Hauses, in dem einst ihre Mutter gespielt, gelacht und geträumt hatte. Sie spürte Marguerites Freude über die Rückkehr ihrer Tochter fast körperlich. Abgesehen von jenem verstörenden Zwischenfall kurz nach dem Tod ihrer Mutter vor acht Monaten war es Sadie schwergefallen, Marguerites Geist in der Hektik Sydneys überhaupt wahrzunehmen. In der Ruhe dieses tasmanischen Fischerdörfchens hingegen, wo man den Rauch aus den Kaminen schnuppern und die Schreie der Vögel hören konnte, war es schwer vorstellbar, dass es die Großstadt überhaupt gab. Auf
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