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Donovans Gehirn

Donovans Gehirn

Titel: Donovans Gehirn
Autoren: Curd Siodmak
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vollständig in Anspruch, daß ich Schratt nicht eintreten hörte.
    Endlich merkte ich, daß mich jemand beobachtete. Schratt stand zwei Meter hinter mir und starrte mich an. Sein Gesicht zuckte, er kämpfte mit sich selbst und konnte sich nicht entscheiden, ob er weglaufen oder mir assistieren sollte; doch endlich überwand er seinen Schock darüber, zuzusehen, wie ich einem Menschen sein Hirn stahl!
    Ich hob die Hirnschale auf und trennte sie ab, indem ich die Medulla oblongata genau über der Schädelöffnung, durch die sie läuft, abschnitt.
    »Wir wären lieber allein, Janice!« sagte ich.
    Sie verließ uns sofort – ich fühlte, wie erleichtert sie war, daß sie gehen durfte, und einen Augenblick bedauerte ich, daß ich sie zu Hilfe gerufen hatte. Ich brauchte keine Zeugen!
    »Ziehen Sie diese Handschuhe an – und einen Kittel«, sagte ich zu Schratt, während ich mit einem stumpfen Dissektor den Frontalgyrus lockerte, vorsichtig tastend, um die Augen nicht zu verletzen.
    Schratt barg impulsiv das Gesicht in den Händen und stand ein paar Sekunden regungslos. Als er wieder aufsah, hatte sich sein Ausdruck verändert. Er hatte gewußt, was ich tat – in dem gleichen Augenblick, als er das Laboratorium betrat. Ich verletzte Ehre und Pflicht und Glauben, doch er weigerte sich nicht, mir zu helfen, obwohl ich nicht die Macht besaß, ihn zu zwingen.
    Der verhinderte Pasteur in ihm war durchgebrochen, und Schratts Berufung war stärker als sein Gewissen. Ich wußte, daß er nachher alle Qualen der Reue erleiden würde, Verzweiflungsanfälle, die er in Tequila ertränken mußte. Auch er wußte es, jedoch er half mir.
    Er trat zum Tisch und zog die Handschuhe an. Ohne sich damit aufzuhalten, einen Kittel anzuziehen, griff er nach dem Messer. Seine Hände, schwer und grobfingerig, wurden fein und geschickt. Er arbeitete sehr schnell.
    »Ich werde die Medulla oblongata hier einschneiden müssen«, murmelte er, und als ich nickte, tat er es.
    Ich nahm Blutserum vom Kocher, befestigte die Gummiröhre an der rotierenden Pumpe und drehte das ultraviolette Licht an.
    »Fertig?« fragte Schratt.
    Ich nickte, nahm ein dampfendes Handtuch vom Sterilisator und hielt es über das Hirn, das Schratt nun aus der unteren Hirnschale hob. Er trug es hinüber zu der Glasschale und tauchte es im Serum unter, befestigte die Gummiröhren an den vertebralen und internen Carotyd-Arterien und setzte die Pumpe in Bewegung.
    »Beeilen Sie sich«, sagte Schratt und zog die Handschuhe aus. »Man kann jede Sekunde nach der Leiche kommen.« Sein Gesicht sah plötzlich wieder grau und faltig aus. Er deutete auf den Toten. »Bringen Sie ihn lieber in Ordnung. Stopfen Sie Watte in den Schädel – sonst könnten die Augen einfallen.«
    Ich füllte die Schädelhöhle mit Baumwollbandagen, legte die Schädeldecke auf und befestigte sie mit Leukoplast. Dann zog ich die Kopfhaut wieder über den Schädel, bandagierte den Kopf sorgfältig und war vorsichtig genug, ein paar Tropfen von Donovans Blut in die Binden sickern zu lassen, als sei es durchgedrungen aus der Wunde, die durch den Unfall entstanden war.
    Ich wandte mich rasch um, ich wollte sehen, ob das Hirn noch lebe. Schratt hielt mich auf. »Wir haben alles getan, was wir konnten«, sagte er. »Lassen Sie uns die Leiche hier herausbringen! Oder wollen Sie, daß man – das da sieht?« Und er wies mit einer ruckartigen Kopfbewegung auf das Hirn. »Wenn wir den Körper in die Sonne hinaustragen, zersetzt er sich schnell. Ich will keine Leichenschau.« Die Aufregung hatte meine Urteilskraft verwirrt, und ich fügte mich Schratts Anweisungen. Er schien sich jedoch seiner neuen Autorität nicht zu freuen.
    Jahrelang war Schratt durch meine Gegenwart gehemmt gewesen, das wußte ich. Er hatte seinen eigenen Ehrgeiz, seinen eigenen Trieb verloren und neidete mir die Beharrlichkeit, mit der ich meine Forschungen durchführte. Doch jetzt nützte er seine Überlegenheit nicht aus, obwohl er endlich die Oberhand hatte. Feige wich er der Möglichkeit aus, sich einmal für die Demütigungen zu rächen, die ich ihm unwillkürlich durch all diese Jahre zugefügt hatte.
    Wir legten Donovans Körper auf eine Bahre, bedeckten ihn mit einem Laken und trugen ihn nach draußen. Die Hitze würde schnelle Arbeit tun. Dann gingen wir zurück ins Laboratorium und räumten auf.
    »Schreiben Sie den Totenschein und den Befund, ehe die Ambulanz herkommt«, sagte ich ruhig.
    Er antwortete nicht, und ich konnte erraten, daß
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