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Domfeuer

Domfeuer

Titel: Domfeuer
Autoren: Dennis Vlaminck
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es ging.
    »Und?«
    »Warte, ich hab’s gleich.« Paulus presste seinen Arm weiter in den Schlitz. »Nichts.«
    »Bitte?« Barthel trat ebenfalls an den Balken.
    »Nichts. Alles leer.« Er zog den Arm wieder heraus und rieb sich die Druckstellen. »Der Hohlraum ist völlig leer. Vielleicht hat Mutter uns ja auch alle genarrt und nie einen Heller besessen. Oder sie hat ihr Geld woanders versteckt.«
    »Nein, hat sie nicht. Ich habe mal gesehen, wie sie dort oben eine Lederbörse hineingestopft hat.«
    »Dann ist sie jetzt nicht mehr da.«
    Barthel schüttelte den Kopf. »Sie kann nicht einfach verschwunden sein. Ob Henner sie gefunden hat?«
    »Henner wird sicher mit der Nase über den Boden gekrochen sein, um ein vergessenes oder verlorenes Münzlein zu finden, bevor er die Kammer einer anderen Hure überlassen hat. Aber ob er auch hier oben nachgesehen hat? Das Versteck ist eigentlich zu gut.«
    »Dann bin ich überfragt.«
    »Nein, eine Möglichkeit gibt es noch.« Paulus sah ihn ernst an.
    »Und die wäre?«
    »Eine, von der ich nicht weiß, ob ich mich über sie freuen oder mich vor ihr fürchten soll.«
    »Jetzt sag schon.«
    Paulus ging los. »Komm mit.«
    Gerhard stand noch im Domhof, als die Prozession längst außer Hörweite war. Er musterte die Ruine. Mit dem erfahrenen Auge eines Baumeisters sah er nicht mehr die Trümmer seiner größten Niederlage, sondern die Grundmauern einer Notkirche. Die Außenwände von Schiff und Peterschor standen noch. Mit etwas Flickwerk und einem Behelfsdach ließe sich ein Gotteshaus erbauen, das einer Stadt wie Köln zwar nicht würdig war, seinen Zweck fürs Erste aber erfüllen würde.
    Nachdem er in Gedanken eine Aushilfskirche schon errichtet hatte, ging Gerhard heimwärts. Immer schneller trugen ihn seine Füße die Johannisstraße hinab, bis er das letzte Stück schließlich rannte, als sei der Leibhaftige hinter ihm her.
    Seine Guda stand in der Tür. Wahrscheinlich hatte sie die ganze Zeit hier in Sorge um ihn gewartet.
    Gerhard fiel vor ihr auf die Knie und vergrub sein Gesicht in ihrem Schoß. Er weinte. Die Tränen, die er vergoss, waren Tränen der Freude.
    Der Wind wehte über den Domhügel hinab zum Rhein. Durch das Hafenviertel waberte ein seltsamer Geruch, die Mischung stank nach Fisch und Feuer. Barthel rümpfte die Nase, nicht nur des Gestanks wegen. Er ahnte, wohin sein Bruder ihn führen würde.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich diesen Ort sehen will, Paulus.«
    Paulus schritt weit aus und sah nicht einmal zurück. »Niemand zwingt dich, mich zu begleiten.«
    »Was willst du dort? Wir sollten beide mit diesem Teil unseres Lebens abschließen und neu beginnen.«
    »Abschließen kann ich das alte Leben erst, wenn ich weiß, dass es nicht mehr da ist.«
    Barthel beschleunigte den Schritt trotz seiner Schmerzen im Knie und schloss zu Paulus auf. »Aber es ist nicht mehr da. Nichts davon ist mehr da. Was Mutter und Matthias nicht zerstört haben, hat Nox ausgelöscht, und ich beginne mich zu fragen, ob es so nicht das Beste ist. Jetzt komm schon, wir gehen zurück in den Palast und lassen es uns auf Kosten des Erzbischofs ein paar Tage gut gehen.«
    »Du hast es noch nicht begriffen, oder?«
    »Was?«
    »Ach, komm einfach mit.«
    Sie näherten sich der Stadtmauer, die Köln zum Rhein hin schützte. Die Straßen waren wie ausgestorben. Die Menschen nahmen an der Gottestracht teil oder standen neugierig entlang des Prozessionsweges. Ein Stück weit gingen die Brüder die Mauer entlang, bis sie den Bogen erreichten, in dem sich Matthias’ Schlafplatz befand. Paulus und Barthel hielten einen Augenblick inne.
    »Geh du.« Barthel verschränkte die Arme. Was auch immer es dort zu sehen geben mochte, er wollte es nicht sehen.
    War er bis hierhin noch forsch ausgeschritten, musste Paulus seine Füße nun zum letzten Stück des Wegs zwingen. Mit jedem Schritt, den er näher kam, konnte er weiter hinter den Vorsprung des Halbbogens sehen. Der Schlafplatz war noch immer so wie vor ein paar Monaten, als er ihn sich mit Matthias geteilt hatte. Ein paar Holzbretter, die quer vor den Unterschlupf genagelt waren, boten zusätzlichen Schutz vor den Widrigkeiten des Wetters und unliebsamen Blicken. Als er klopfte, fragte Paulus sich, wieso er eigentlich noch höfliche Zurückhaltung wahrte.
    Aus dem Verschlag drang ein Geräusch. Paulus schob ein Brett beiseite und steckte den Kopf hindurch. Matthias lag mit dem Gesicht zur Mauer gewandt und hatte sich eine verfilzte und
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