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Domfeuer

Domfeuer

Titel: Domfeuer
Autoren: Dennis Vlaminck
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an der Gottestracht teilzunehmen. Eine schlechte Entscheidung, denn sein Sohn und seine Schwiegertochter befanden es für einen guten Einfall, ihre Kinder in seiner Obhut zu belassen. Angeblich war den kleinen Füßen die Prozession um die Stadtmauer nicht zuzumuten.
    Und so musste Viktor, der älteste Salzhändler in der Salzgasse, es erdulden, wie Marieken und Johannes seinen Lagerraum in einen Spielplatz verwandelten, ohne Rücksicht auf das Alter ihres Großvaters oder den Wert seiner Handelswaren. Vermutlich wäre es für ihre kleinen Füße weniger ermüdend gewesen, den Weg der Gottestracht gleich zweimal zu gehen.
    Viktor war so alt, dass Spötter sagten, er schlafe des Nachts in seinem Salz und konserviere sich so selbst. Der Spott hatte ihm den Spitznamen Hering eingebracht, der ihm allerdings gefiel. Wollte jemand Fisch pökeln, schickte man ihn wie selbstverständlich zum alten Hering. Einen besseren Ruf genoss kein anderer Salzhändler in der Gasse zwischen den Märkten und dem Hafen.
    Mit seinen gichtverknoteten Fingern rückte Viktor das letzte der umgefallenen Fässer zurecht. Ob er mit den Kleinen hinunter zur Kaimauer gehen und Schiffe zählen sollte? Wenn Marieken und Johannes an der frischen Luft umherliefen, würden sie gewiss schnell müde und handzahm werden. Und seine Fässer wären sicher vor ihnen.
    Von irgendwoher im Lagerraum hörte er ein kräftiges Klopfen. Viktor wertete es als Bestätigung, dass sein Vorhaben die richtige Entscheidung war. Diese Wirbelwinde waren nicht ausgelastet, sie mussten sich austoben, irgendwo, nur nicht hier. Nur dummes Zeug hatten sie im Kopf.
    Das Klopfen hielt an, und dann dämmerte es Viktor, dass es nicht die Kinder waren, die Unfug trieben. Jemand war an der Tür und begehrte Einlass. Er rief noch eine Mahnung in die Richtung, in der er seine Enkel vermutete, verließ das Salzlager und öffnete die Tür seines Verkaufsraums. Auf der Salzgasse stand ein junger Mann, dessen rot-schwarze Kleidung ihn als Büttel kennzeichnete. In seiner Begleitung waren zwei Männer, die eine Karre vor Viktors Handelshaus gezogen hatten.
    »Mein Name ist Konstantin, und ich benötige Salz, viel Salz«, sagte der Büttel. »Man sagte mir, beim alten Hering könne ich wohl ausreichend davon erhalten.«
    »Da habt Ihr Euch bestens erkundigt, Büttel. Wie viel Salz benötigt Ihr?«
    »Ausreichend, um das hier zu pökeln.« Er schlug das Tuch zurück, das die Ladung bisher bedeckt hatte. Für solch eine Fracht hatte Viktor noch nie Salz verkauft.
    »Keine Fragen«, sagte der Büttel, bevor Viktor das Wort erheben konnte. »Das ist ein Auftrag des Erzbischofs. Könnt Ihr mir also helfen?«
    Viktor nickte. Hoffentlich sahen Johannes und Marieken das nicht.
    Der dicke Ast des Apfelbaums, der in einem Baumgarten nahe an der Kirche der heiligen Jungfrauen stand, war alles andere als bequem. Doch er bot Paulus den besten Blick auf die Straße, auf der die Prozession zum Domhof zurückkehren würde. Hunderte Menschen standen am Weg und warteten auf die Gottestracht. Das ungewohnte Bild verstärkte das Gefühl, das sich seit Stunden immer weiter in Paulus ausbreitete.
    Köln war ihm fremd geworden.
    Es war, als wäre er noch nie hier gewesen. Die vergangenen drei, vier Tage hatten sein Leben auf links gedreht. Seine Familie gab es nicht mehr, nur noch Barthel war ihm geblieben. Matthias? Eine Seele, die Gott an den Teufel verloren hatte. Seine Mutter? Er musste ihre Beerdigung in die Wege leiten, auch wenn er seinen Frieden mit ihr noch nicht gemacht hatte. Er wollte zum heiligen Eustachius beten, jenem Märtyrer, den man bei traurigen Familienschicksalen anzurufen pflegte. Aber Paulus ließ es bleiben. Eustachius konnte nichts mehr für Matthias und seine Mutter ausrichten.
    Jenne. Seine Gedanken endeten immer wieder bei ihr. Was mochte aus ihr geworden sein? Hatte sie vielleicht doch überlebt? Hatte sie Köln verlassen, wie sie es schon längst hätte tun sollen? Und wenn sie noch lebte und er sie treffen würde, wie sollte er ihr erklären, dass der Geldgürtel verloren war?
    Paulus biss sich auf die Unterlippe. Was war nur mit ihm, dass er ständig an dieses Mädchen dachte?
    Sie war in den vergangenen Tagen neben Barthel sein fester Halt gewesen, sie hatte ihm mehr als nur einmal die Haut gerettet. Welch eine absonderliche Wendung doch alles genommen hatte. Für Matthias hätte er die Hand ins Feuer gelegt, Jenne hingegen hatte er nicht weiter getraut, als seine Nase lang war.
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