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Doktor Proktor verhindert den Weltuntergang

Doktor Proktor verhindert den Weltuntergang

Titel: Doktor Proktor verhindert den Weltuntergang
Autoren: Jo Nesboe
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er für einen Mann gehalten hat, der wie eine Frau aussah.«
    Exakt eine Minute vor sieben, als alle Chöre gesungen hatten, erfüllte Kalle Papps’ Gesicht erneut die Mattscheibe.
    »Stimmen Sie weiter ab, liebe Leute. Unsere Leitungen sind bis acht Uhr freigeschaltet. Dann fällt die Entscheidung: Wer gewinnt die …«, er signalisierte dem Publikum, dass sie alle im Chor mit ihm rufen sollten, »… Kon-CHOR-renz!«
    Punkt sieben Uhr schob Madsen seine Pilotensonnenbrille nach oben, räusperte sich und hob den Taktstock. In der Turnhalle vor ihm saßen die Jungen und Mädchen, Trompeten und Klarinetten, die kleinen Trommeln, Waldhörner und Saxofone, die Pauke und die Tuba, die zusammen die schuleigene Blaskapelle ausmachten. Im vergangenen Sommer hatte die Kapelle beim Schulorchestertreffen in Stampesletta eine sehr spezielle Auszeichnung erhalten. Die Jury meinte, das wäre mit Abstand die grauenvollste Blaskapelle gewesen, die sie je gehört hätten, und dass sie mit Ausnahme einiger weniger Talente, allen voran der winzige rothaarige Knirps an der Trompete, noch nie so eine unglaublich beeindruckende Ansammlung unmusikalischer Kinder erlebt hätten, die nur ein echter Enthusiast über so lange Zeit dirigieren könnte. Und damit hatten sie Madsen seinen Gewinn überreicht: ein Paar Ohrenschützer deutscher Markenqualität aus echtem Leder.
    Madsen hatte die Ohrenschützer weggeworfen und pro Woche einen zusätzlichen Probenabend angesetzt. Und jetzt stand er da und gab den Einsatz für den Ziemlich Alten Jägermarsch, der nach dem Alten Jägermarsch, aber vor dem Neuen Jägermarsch komponiert worden war. Er zählte nicht aufwärts, sondern abwärts, als hätte er eine Zeitbombe vor sich. »Vier, drei, zwei, …«, schickte ein letztes stummes Gebet nach oben und wappnete sich innerlich, ehe er »1!« rief und den Taktstock fallen ließ.
    Drei Minuten später malte er mit dem Taktstock ein Kreuz in die Luft. Das bedeutete, dass der Ziemlich Alte Jägermarsch vorbei war. Und außer einem verspäteten Quäken des Saxofons verstummten tatsächlich fast alle gleichzeitig.
    »Hm«, sagte Madsen, als die Stille sich über sie gesenkt hatte. Er überlegte, mit welchen Worten er am besten beschreiben könnte, was er soeben gehört hatte. Das war nämlich gar nicht so entsetzlich gewesen. Ein paar Misstöne hatte es natürlich gegeben; eine nervöse Klarinette, die haarscharf am Falsett vorbeigeschrappt war, ein paar schiefe Waldhorntöne, ein Paukenschlag, der etwas zu spät gekommen war, und etwas, das möglicherweise auch nur der Pups eines Bläsers gewesen war, der etwas zu kräftig geblasen hatte.
    Aber im Großen und Ganzen: gar nicht schlecht. Richtig gut sogar.
    Madsen räusperte sich, während die Kapelle ihn erwartungsvoll ansah.

    »Fürs Erste nicht übel«, sagte Madsen.
    Madsen neigte nicht zu Übertreibungen. Daher das »nicht übel«. Beim genaueren Nachdenken kam ihm »nicht übel« aber doch wie eine gewisse Untertreibung vor. Also räusperte er sich ein weiteres Mal: »Fürs Erste gar nicht so übel.«
    Fakt war, dass die schuleigene Blaskapelle seit der Blamage in Stampesletta im letzten Sommer große Fortschritte gemacht hatte. Madsen sah – zum ersten Mal in seinem Leben als Schulkapellendirigent – einen kleinen Hoffnungsschimmer, der ihn etwas empfinden ließ, das er noch nie zuvor empfunden hatte: Er war gerührt. Ja, er bekam sogar ein wenig feuchte Augen hinter seiner Pilotensonnenbrille. Er schob sie zurecht, um sicherzustellen, dass niemand etwas davon mitbekam.
    »Noch einmal«, sagte er und merkte, dass er das Räuspern vergessen hatte.
    Und die schuleigene Blaskapelle spielte noch einmal. Und noch einmal. Und mit jedem Mal klang es besser.
    »Und nun noch ein letztes Mal vor der Pause«, sagte Madsen.
    Madsen hob den Taktstock. Und nahm ihn wieder herunter, bevor er mit dem Anzählen begann.
    »Wo wollt ihr denn hin, Truls und Trym?«
    Truls und Trym hatten ihre Trommeln eingepackt, die Reißverschlüsse ihrer dicken Steppjacken hochgezogen, in denen sie wie Michelinmännchen aussahen, und waren auf dem Weg zur Tür.
    »Nach Hause, um für Hallvard Tenoresen zu stimmen«, sagte Truls. »In einer halben Stunde schließen die Telefonleitungen.«
    »Die Probe ist noch nicht zu Ende«, sagte Madsen.
    »Ist mir doch scheißegal«, sagte Truls. »Wir hören eh auf.«
    »Ihr hört auf?« Madsen hörte gar nicht mehr auf, die Brille zurechtzurücken, aber er hatte sich weder versehen noch
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