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Doktor Proktor verhindert den Weltuntergang

Doktor Proktor verhindert den Weltuntergang

Titel: Doktor Proktor verhindert den Weltuntergang
Autoren: Jo Nesboe
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wird. Antwortet uns und lasst uns vom Becher der Weisheit nippen.«
    Frau Strobe nahm seufzend ihre Hand herunter. Lise war fast sicher, hinter der strengen Fassade ein leichtes Zucken ihrer Mundwinkel gesehen zu haben. Frau Strobe war kein Fan von übertriebenem Lächeln und anderer Sonnenscheinmimik.
    »Die Norweger, die im Krieg keine Helden gewesen sind«, setzte sie an, »die waren … ähm, die haben die anderen angefeuert.«
    »Angefeuert?«
    »Ja, sie haben die Helden angefeuert. Und den König, der nach London geflohen war.«
    »Mit anderen Worten haben sie also nichts getan«, sagte Bulle.
    »Ganz so einfach ist das nicht«, sagte Frau Strobe. »Nicht jeder Mensch kann ein Held sein.«
    »Warum nicht?«
    »Das versteh ich jetzt nicht ganz.«
    »Warum können nicht alle Helden sein?«, fragte Bulle und warf die roten Ponyfransen nach hinten, die nur knapp über sein Pult hinausragten.
    In der Stille, die folgte, hörte Lise aus dem angrenzenden Klassenzimmer lautes Gezeter und Hicksen. Das war der neue Werklehrer Gregor Galvanius, den alle nur Herrn Hick nannten, weil er immer Schluckauf bekam, sobald er sich aufregte.
    »Truls!«, schimpfte Gregor Galvanius verzweifelt. »Hick . Trym! Hick.«
    Lise hörte Truls’ fieses Lachen und das mindestens genauso fiese Lachen seines Zwillingsbruders Trym, eilige Schritte und eine Tür, die aufgerissen wurde.
    »Nicht jeder hat das Zeug zum Helden«, sagte Frau Strobe. »Die meisten Leute wollen einfach nur ihre Ruhe haben und sich um ihren eigenen Kram kümmern, ohne sich allzu sehr mit den Belangen anderer auseinandersetzen zu müssen.«
    An dieser Stelle hörte ihr kaum noch jemand zu, weil fast alle aus dem Fenster starrten. Denn über den schneebedeckten und vereisten Schulhof sahen sie Truls und Trym Thrane laufen. Was kein sehr schöner Anblick war, da Truls und Trym derart fett waren, dass ihre Oberschenkel aneinander scheuerten, wenn sie so rannten. Aber ihr Verfolger war kein bisschen eleganter. Herr Hick hüpfte in gebeugtem, x-beinigem Trab wie ein tollpatschiger Elch in Filzpantoffeln durch die Vormittagssonne. Der Grund für die hüpfende und gekrümmte Fortbewegung war der Schreibtischstuhl, der an Herrn Hicks Hintern festgewachsen zu sein schien. Frau Strobe warf einen Blick aus dem Fenster und stieß einen tiefen Seufzer aus.
    »Bulle, ich befürchte, einige Menschen sind schlicht und einfach zu gewöhnlich und ohne den geringsten Funken von Heldentum in sich.«
    »Was ist mit dem Stuhl?«, fragte Bulle leise.
    »Sieht aus, als wäre er an seinem Hosenboden festgewachsen«, sagte Lise gähnend. »Guck mal, jetzt hat er gleich die Schneewehen erreicht …«

    Gregor Galvanius’ alias Herrn Hicks Filzpantoffeln begannen, unter ihm ein Eigenleben zu führen. Im nächsten Moment fiel er pardauz! aufs Hinterteil. Das heißt, da sein Hinterteil in dem Stuhl feststeckte und der Stuhl Räder hatte und die Räder gut geschmiert waren und da der Schulhof bis zur Kanonenstraße runter ein ziemliches Gefälle hatte, wurde Herr Hick schlagartig zum unfreiwilligen Passagier seines Schreibtischstuhles, der mit zunehmendem Tempo immer schneller bergab rollte.
    »Gütiger Gott!«, platzte Frau Strobe entsetzt heraus, als sie die hektische Fahrt ihres Kollegen aufs Ende der Welt – oder zumindest das Ende des Schulhofes zu – bemerkte.
    Ein paar Sekunden lang war es so still, dass nur das Rumpeln der Räder auf der Eisschicht zu hören war, das Scharren der Pantoffelsohlen beim verzweifelten Versuch zu bremsen sowie ein hysterisches Hicksen. Im nächsten Augenblick donnerten Stuhl und Werklehrer in die Schneewehe am Ende des Schulhofes. Und die Schneewehe explodierte mit einem lauten Puff und füllte die ganze Luft mit Pulverschnee. Schreibtischstuhl und Gregor Galvanius waren spurlos verschwunden!
    »Mann über Bord!«, brüllte Bulle, sprang auf und hüpfte von Pult zu Pult in Richtung Klassenzimmertür. Alle anderen folgten ihm, sogar Frau Strobe, und eins-zwei-drei waren sie draußen, alle außer Lise, denn die stand mit einem Stück Kreide in der Hand an der Tafel und strich ein L von WELLTKRIEG aus. So. Danach rannte auch sie nach draußen.
    Frau Strobe und ein anderer Lehrer versuchten mit vereinten Kräften, Gregor Galvanius, der immer noch in seinem Stuhl feststeckte, aus der Schneewehe zu befreien.
    »Wie geht es Ihnen, Gregor?«, erkundigte sich Frau Strobe.
    »Hick« , sagte Gregor. »Ich bin blind!«
    »Ach was«, sagte Frau Strobe und kratzte den
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