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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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meines Staatsexamens ermöglichten: als ich von der Akropolis zu der Heiligen Straße hinausblickte, auf der die Mysten, geschmückt mit der Safranbinde und den Namen des Iacchus auf den Lippen, dahinzogen, und dann, als ich an der Stätte der Einweihung selbst, im Bezirke des Eubuleus am Rande der vom Felsen überhangenen plutonischen Spalte stand. Da erfuhr ich ahnend die Fülle des Lebensgefühls, welche in der initiatorischen Andacht des olympischen Griechentums vor den Gottheiten der Tiefe sich ausdrückt, und oft habe ich später meinen Primanern vom Katheder herab erklärt, daß Kultur recht eigentlich die fromme und ordnende, ich möchte sagen, begütigende Einbeziehung des Nächtig-Ungeheueren in den Kultus der Götter ist.
    Von jener Reise zurückgekehrt, fand der Fünfundzwanzigjährige Anstellung an dem Gymnasium seiner Heimatstadt, derselben Schule, in der ich wissenschaftlich aufgebracht worden war, und wo ich nun einige Jahre lang auf bescheidenen Stufen den Unterricht im Lateinischen, Griechischen und auch in Geschichte versah, bevor ich nämlich, im 12. Jahr des Jahrhunderts, in den bayerischen Schuldienst überging und fortan zu Freising, dem Orte, der mein Wohnsitz geblieben ist, als Gymnasialprofessor, aber auch als Dozent an der theologischen Hochschule, in den genannten Fächern mehr als zwei Jahrzehnte lang mich einer befriedigenden Tätigkeit erfreute.
    Frühzeitig, bald schon nach meiner Bestallung in Kaisersaschern, habe ich mich vermählt – Ordnungsbedürfnis und {21} der Wunsch nach sittlicher Einfügung ins Menschenleben leiteten mich bei diesem Schritt. Helene, geb. Ölhafen, mein treffliches Weib, das noch heute meine sich neigenden Jahre betreut, war die Tochter eines älteren Fakultäts- und Amtskollegen zu Zwickau im Königreich Sachsen, und auf die Gefahr hin, das Lächeln des Lesers hervorzurufen, will ich nur gestehen, daß der Vorname des frischen Kindes, Helene, dieser teuere Laut, bei meiner Wahl nicht die letzte Rolle spielte. Ein solcher Name bedeutet eine Weihe, deren reinem Zauber man nicht seine Wirkung verwehrt, sollte auch das Äußere der Trägerin seine hohen Ansprüche nur in bürgerlich bescheidenem Maß, und auch dies nur vorübergehend, vermöge rasch entweichenden Jugendreizes erfüllen. Auch unsere Tochter, die sich längst einem braven Manne, Prokuristen an der Filiale der Bayerischen Effektenbank in Regensburg, verbunden hat, haben wir Helene genannt. Außer ihr schenkte meine liebe Frau mir noch zwei Söhne, so daß ich die Freuden und Sorgen der Vaterschaft nach Menschengebühr, wenn auch in nüchternen Grenzen erfahren habe. Etwas Berückendes, das will ich nur zugeben, war zu keiner Zeit an keinem meiner Kinder. Mit einer Kinderschönheit wie dem kleinen Nepomuk Schneidewein, Adrians Neffen und seiner späten Augenweide, konnten sie es nicht aufnehmen, – ich selbst bin der letzte, es zu behaupten. – Meine beiden Söhne dienen heute, der eine auf zivilem Posten, der andere in der bewaffneten Macht, ihrem Führer, und wie überhaupt meine befremdete Stellung zu den vaterländischen Gewalten eine gewisse Leere um mich geschaffen hat, so ist auch der Zusammenhang dieser jungen Männer mit dem stillen Elternheim nur locker zu nennen.

{22} III
    Die Leverkühns waren ein Geschlecht von gehobenen Handwerkern und Landwirten, das teils im Schmalkaldischen, teils in der Provinz Sachsen, am Lauf der Saale blühte. Adrians engere Familie saß seit mehreren Generationen auf dem zur Dorfgemeinde Oberweiler gehörigen Hofe Buchel, nahe Weißenfels, von dieser Station, wohin man von Kaisersaschern in dreiviertelstündiger Bahnfahrt gelangte, nur mit entgegengesandtem Fuhrwerk zu erreichen. Buchel war ein Bauerngut des Umfanges, der dem Besitzer den Rang eines Vollspänners oder Vollhöfners verleiht, mit etlichen fünfzig Morgen Äckern und Wiesen, einem genossenschaftlich bewirtschafteten Zubehör von Gemischtwald und einem sehr behäbigen Wohnhause aus Holz- und Fachwerk, aber steinernen Unterbaues. Es bildete mit den Scheunen und Viehställen ein offenes Viereck, in dessen Mitte, mir unvergeßlich, eine mächtige, zur Junizeit mit herrlich duftenden Blüten bedeckte, von einer grünen Bank umlaufene alte Linde stand. Dem Fuhrverkehr auf dem Hofe mochte der schöne Baum ein wenig im Wege sein, und ich hörte, daß stets der Erbsohn in jungen Jahren seine Beseitigung aus praktischen Gründen gegen den Vater verfocht, um ihn eines Tages, als Herr des Hofes, gegen
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