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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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eingelassen? Das gab es bei Adrian nicht. Menschliche Ergebenheit nahm er hin – ich möchte schwören: oft ohne sie auch nur zu bemerken. Seine Gleichgültigkeit war so groß, daß er kaum jemals gewahr wurde, was um ihn her vorging, in welcher Gesellschaft er sich befand, und die Tatsache, daß er sehr selten einen Gesprächspartner mit Namen anredete, läßt mich vermuten, daß er den Namen nicht wußte, während doch der andere ein gutes Recht zur Annahme des Gegenteils hatte. Ich möchte seine Einsamkeit einem Abgrund vergleichen, in welchem Gefühle, die man ihm entgegenbrachte, lautlos und spurlos untergingen. Um ihn war
Kälte
 – und wie wird mir zumute, indem ich dies Wort gebrauche, das auch er in einem ungeheuerlichen Zusammenhange einst niederschrieb! Ein {16} zelnen Vokabeln können Leben und Erfahrung einen Akzent verleihen, der sie ihrem alltäglichen Sinn völlig entfremdet und ihnen einen Schreckensnimbus verleiht, den niemand versteht, der sie nicht in ihrer fürchterlichsten Bedeutung kennengelernt hat.

II
    Mein Name ist Dr. phil. Serenus Zeitblom. Ich selbst beanstande die sonderbare Verzögerung dieser Kartenabgabe, aber, wie es sich trifft und fügt, der literarische Gang meiner Mitteilungen wollte mich bis zu diesem Augenblick immer nicht dazu kommen lassen. Mein Alter ist 60 Jahre, denn A.D. 1883 wurde ich, als ältestes von vier Geschwistern, zu Kaisersaschern an der Saale, Regierungsbezirk Merseburg, geboren, derselben Stadt, in der auch Leverkühn seine gesamte Schülerzeit verbrachte, weshalb ich ihre nähere Kennzeichnung vertagen kann, bis ich zu deren Beschreibung komme. Da überhaupt mein persönlicher Lebensgang sich mit dem des Meisters vielfach verschränkt, so wird es gut sein, von beiden im Zusammenhang zu berichten, um nicht dem Fehler des Vorgreifens zu verfallen, zu welchem man, wenn das Herz voll ist, ohnedies immer neigt.
    Nur soviel sei hier angegeben, daß es die mäßige Höhe eines halbgelehrten Mittelstandes war, auf der ich zur Welt kam, denn mein Vater, Wolgemut Zeitblom, war Apotheker, – übrigens der bedeutendste am Platze: es gab noch ein zweites pharmazeutisches Geschäft in Kaisersaschern, das sich aber niemals des gleichen öffentlichen Vertrauens erfreute wie die Zeitblomsche Apotheke »Zu den Seligen Boten« und jederzeit einen schweren Stand gegen sie hatte. Unsere Familie zählte zu der kleinen katholischen Gemeinde der Stadt, deren Bevölkerungsmehrheit natürlich dem lutherischen Bekenntnis angehörte, und namentlich meine Mutter war eine fromme Tochter der {17} Kirche, die ihren religiösen Pflichten gewissenhaft nachkam, während mein Vater, wahrscheinlich schon aus Zeitmangel, sich darin laxer zeigte, ohne deshalb die Gruppen-Solidarität mit seinen Kultgenossen, die ja auch ihre politische Tragweite hatte, im geringsten zu verleugnen. Bemerkenswert war, daß neben unserem Pfarrer, Geistl. Rat Zwilling, auch der Rabbiner der Stadt, Dr. Carlebach mit Namen, in unseren über dem Laboratorium und der Apotheke gelegenen Gasträumen verkehrte, was in protestantischen Häusern nicht leicht möglich gewesen wäre. Das bessere Aussehen war auf seiten des Mannes der römischen Kirche. Aber mein Eindruck, der hauptsächlich auf Äußerungen meines Vaters beruhen mag, ist der geblieben, daß der kleine und langbärtige, mit einem Käppchen geschmückte Talmudist seinen andersgläubigen Amtsbruder an Gelehrsamkeit und religiösem Scharfsinn weit übertraf. Es mag mit an dieser Jugenderfahrung liegen, aber auch an der spürsinnigen Aufgeschlossenheit jüdischer Kreise für das Schaffen Leverkühns, daß ich gerade in der Judenfrage und ihrer Behandlung unserem Führer und seinen Paladinen niemals voll habe zustimmen können, was nicht ohne Einfluß auf meine Resignation vom Lehramte war. Freilich haben auch Exemplare jenes Geblütes meinen Weg gekreuzt – ich brauche nur an den Privatgelehrten Breisacher in München zu denken –, auf deren verwirrend antipathisches Gepräge ich an gehörigem Ort einiges Licht zu werfen mir vornehme.
    Was nun meine katholische Herkunft angeht, so hat sie selbstverständlich meinen inneren Menschen gemodelt und beeinflußt, jedoch ohne daß sich aus dieser Lebenstönung je ein Widerspruch zu meiner humanistischen Weltanschauung, meiner Liebe zu den »besten Künsten und Wissenschaften«, wie man einstmals sagte, ergeben hätte. Zwischen diesen beiden Persönlichkeitselementen herrschte stets voller Einklang, wie er denn
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