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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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ist nie geleugnet worden, daß an dieser strahlenden Sphäre das Dämonische und Widervernünftige einen beunruhigenden Anteil hat, daß immer eine leises Grauen erweckende Verbindung besteht zwischen ihr und dem unteren Reich, und daß eben darum die versichernden Epitheta, die ich ihr beizulegen versuchte, »edel«, »human-gesund« und »harmonisch«, nicht recht darauf passen wollen, – selbst dann nicht – mit einer Art schmerzlichen Entschlusses stelle ich diesen Unterschied auf – selbst dann nicht, wenn es sich um
lauteres
und genuines, von Gott geschenktes oder auch verhängtes Genie handelt und nicht um ein akquiriertes und verderbliches, um den sünd- und krankhaften Brand natürlicher Gaben, die Ausübung eines gräßlichen Kaufvertrages …
    Hier breche ich ab, mit dem beschämenden Gefühl artistischer Verfehlung und Unbeherrschtheit. Adrian selbst hätte wohl kaum, nehmen wir an: in einer Symphonie, ein solches Thema so vorzeitig auftreten – hätte es höchstens auf eine fein versteckte und kaum schon greifbare Art von ferne sich anmelden lassen. Übrigens mag, was mir entschlüpfte, auch den Leser nur wie eine dunkle, fragwürdige Andeutung berühren und nur mir selber als Indiskretion und plumpes Mit-der-Tür-ins-Haus-fallen erscheinen. Für einen Menschen wie mich ist {14} es sehr schwer und mutet ihn fast wie Frivolität an, zu einem Gegenstand, der ihm lebensteuer ist und ihm auf den Nägeln brennt, wie dieser, den Standpunkt des komponierenden Künstlers einzunehmen und ihn mit der spielenden Besonnenheit eines solchen zu bewirtschaften. Daher mein voreiliges Eingehen auf den Unterschied von lauterem und unlauterem Genie, einen Unterschied, dessen Bestehen ich anerkenne, nur um mich gleich darauf zu fragen, ob er
zu Recht
besteht. Tatsächlich hat das Erlebnis mich gezwungen, über dieses Problem so angestrengt, so inständig nachzudenken, daß es mir schreckhafterweise zuweilen schien, als würde ich damit über die mir eigentlich bestimmte und zukömmliche Gedankenebene hinausgetrieben und erführe selbst eine »unlautere« Steigerung meiner natürlichen Gaben …
    Ich breche aufs neue ab, indem ich mich daran erinnere, daß ich auf das Genie und seine
jedenfalls
dämonisch beeinflußte Natur nur zu sprechen kam, um meinen Zweifel zu erläutern, ob ich zu meiner Aufgabe die nötige Affinität besitze. Möge denn nun gegen den Gewissensskrupel geltend gemacht sein, was immer ich dagegen ins Feld zu führen habe. Es war mir beschieden, viele Jahre meines Lebens in der vertrauten Nähe eines genialen Menschen, des Helden dieser Blätter, zu verbringen, ihn seit Kinderzeiten zu kennen, Zeuge seines Werdens, seines Schicksals zu sein und an seinem Schaffen in bescheidener Helfersrolle teilzuhaben. Die librettistische Bearbeitung von Shakespeares Komödie »Verlorene Liebesmüh«, Leverkühns mutwilligem Jugendwerk, stammt von mir, und auch auf die textliche Zubereitung der grotesken Opernsuite »Gesta Romanorum« sowie des Oratoriums »Offenbarung S. Johannis des Theologen« durfte ich Einfluß nehmen. Das ist das eine, oder es ist bereits das eine und andere. Ich bin aber ferner im Besitz von Papieren, unschätzbaren Aufzeichnungen, die der Heimgegangene mir und keinem anderen in gesunden {15} Tagen oder, wenn ich so nicht sagen darf, in vergleichsweise und legaliter gesunden Tagen letztwillig vermacht hat, und auf die ich mich bei meiner Darstellung stützen werde, ja, aus denen ich mit gebotener Auswahl einiges direkt in dieselbe einzuschalten gedenke. Letztens und erstens aber – und diese Rechtfertigung war noch immer die gültigste, wenn nicht vor den Menschen, so doch vor Gott: ich habe ihn geliebt – mit Entsetzen und Zärtlichkeit, mit Erbarmen und hingebender Bewunderung – und wenig dabei gefragt, ob er im mindesten mir das Gefühl zurückgäbe.
    Das hat er nicht getan, o nein. In der Verschreibung der nachgelassenen Kompositionsskizzen und Tagebuchblätter drückt sich ein freundlich-sachliches, fast möchte ich sagen: gnädiges und sicherlich mich ehrendes Vertrauen in meine Gewissenhaftigkeit, Pietät und Korrektheit aus. Aber lieben? Wen hätte dieser Mann geliebt? Einst eine Frau – vielleicht. Ein Kind zuletzt – es mag sein. Einen leichtwiegenden, jeden gewinnenden Fant und Mann aller Stunden, den er dann, wahrscheinlich eben weil er ihm geneigt war, von sich schickte – und zwar in den Tod. Wem hätte er sein Herz eröffnet, wen jemals in sein Leben
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