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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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wohl ohne Schwierigkeit zu bewahren ist, wenn man, {18} wie ich, in einer alt-städtischen Umgebung aufwuchs, deren Erinnerungen und Baudenkmale weit in vorschismatische Zeiten, in eine christliche Einheitswelt zurückreichen. Zwar liegt Kaisersaschern recht mitten im Heimatsbezirk der Reformation, im Herzen der Luther-Gegend, welche die Städtenamen Eisleben, Wittenberg, Quedlinburg, auch Grimma, Wolfenbüttel und Eisenach umschreiben, – was nun wieder aufschlußreich für das Innenleben Leverkühns, des Lutheraners, ist und mit seiner ursprünglichen Studienrichtung, der theologischen, zusammenhängt. Aber die Reformation möchte ich einer Brücke vergleichen, die nicht nur aus scholastischen Zeiten herüber in unsere Welt freien Denkens, sondern ebensowohl auch zurück ins Mittelalter führt – und zwar vielleicht tiefer zurück als eine von der Kirchenspaltung unberührt gebliebene christ-katholische Überlieferung heiterer Bildungsliebe. Meinesteils fühle ich mich recht eigentlich in der goldenen Sphäre beheimatet, in der man die Heilige Jungfrau »Iovis alma parens« nannte.
    Um noch ferner das Notwendigste über meine vita niederzulegen, so vergönnten meine Eltern mir den Besuch unseres Gymnasiums, derselben Schule, in der, zwei Klassen unter mir, auch Adrian seinen Unterricht empfing, und die, in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gegründet, noch bis vor kurzem den Namen »Schule der Brüder vom gemeinen Leben« geführt hatte. Nur aus einer gewissen Verlegenheit vor dem überhistorischen und für das neuzeitliche Ohr leicht komischen Klange dieses Namens hatte sie ihn abgelegt und nannte sich nach der benachbarten Kirche Bonifatius-Gymnasium. Als ich sie zu Anfang des laufenden Jahrhunderts verließ, wandte ich mich ohne Schwanken dem Studium der klassischen Sprachen zu, in denen schon der Schüler sich in gewissem Grade hervorgetan, und oblag demselben auf den Universitäten Gießen, Jena, Leipzig und, von 1903 bis 1905, zu Halle, um dieselbe Zeit also, und nicht zufällig um dieselbe, als auch Leverkühn dort studierte.
    {19} Hier kann ich, wie so oft, nicht umhin, mich im Vorübergehen an dem inneren und fast geheimnisvollen Zusammenhang des altphilologischen Interesses mit einem lebendig-liebevollen Sinn für die Schönheit und Vernunftwürde des Menschen zu weiden, – diesem Zusammenhang, der sich schon darin kundgibt, daß man die Studienwelt der antiken Sprachen als die »Humanioren« bezeichnet, sodann aber darin, daß die seelische Zusammenordnung von sprachlicher und humaner Passion durch die Idee der Erziehung gekrönt wird und die Bestimmung zum Jugendbildner sich aus derjenigen zum Sprachgelehrten fast selbstverständlich ergibt. Der Mann der naturwissenschaftlichen Realien kann wohl ein Lehrer, aber niemals in dem Sinn und Grade ein Erzieher sein wie der Jünger der bonae litterae. Auch jene andere, vielleicht innigere, aber wundersam unartikulierte Sprache, diejenige der Töne (wenn man die Musik so bezeichnen darf), scheint mir nicht in die pädagogisch-humane Sphäre eingeschlossen, obgleich ich wohl weiß, daß sie in der griechischen Erziehung und überhaupt im öffentlichen Leben der Polis eine dienende Rolle gespielt hat. Vielmehr scheint sie mir, bei aller logisch-moralischen Strenge, wovon sie sich wohl die Miene geben mag, einer Geisterwelt anzugehören, für deren unbedingte Zuverlässigkeit in Dingen der Vernunft und Menschenwürde ich nicht eben meine Hand ins Feuer legen möchte. Daß ich ihr trotzdem persönlich von Herzen zugetan bin, gehört zu jenen Widersprüchen, die, ob man es nun bedauere oder seine Freude daran habe, von der Menschennatur unabtrennbar sind.
    Dies außerhalb des Gegenstandes. Und auch wieder nicht, da die Frage, ob zwischen der edel-pädagogischen Welt des Geistes und jener Geisterwelt, der man sich nur unter Gefahren naht, eine klare und sichere Grenze zu ziehen ist, sehr wohl und nur zu sehr zu meinem Gegenstande gehört. Welcher Bereich des Menschlichen, und sei es der lauterste, würdig wohlwollend {20} ste, wäre wohl ganz unzugänglich dem Einfluß der unteren Gewalten, ja, man muß hinzusetzen, ganz unbedürftig der befruchtenden Berührung mit ihnen? Dieser Gedanke, nicht ungeziemend selbst für den, dessen persönlichem Wesen alles Dämonische durchaus fernliegt, ist mir zurückgeblieben von gewissen Augenblicken der fast anderthalbjährigen Studienreise nach Italien und Griechenland, die meine guten Eltern mir nach Ablegung
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