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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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prangend, auf ihrer Unterseite mit toller Genauigkeit einem Blatte glichen, nicht nur nach Form und Geäder, sondern dazu noch durch die minutiöse Wiedergabe kleiner Unreinigkeiten, nachgeahmter Wassertropfen, warziger Pilzbildungen und dergleichen mehr. Ließ dies geriebene Wesen sich mit hochgefalteten Flügeln im Laube nieder, so verschwand es durch Angleichung so völlig in seiner Umgebung, daß auch der gierigste Feind es nicht darin ausmachen konnte.
    Nicht ohne Erfolg suchte Jonathan uns seine Ergriffenheit von dieser raffiniert ins Mangelhaft-Einzelne gehenden Schutz-Nachahmung mitzuteilen. »Wie hat das Tier das gemacht?« fragte er wohl. »Wie macht es die Natur durch das Tier? Denn dessen eigener Beobachtung und Berechnung kann man den Trick unmöglich zuschreiben. Ja, ja, die Natur kennt ihr Laubblatt genau, nicht nur in seiner Vollkommenheit, sondern mit seinen kleinen alltäglichen Fehlern und Verunstaltungen, und aus schalkhafter Freundlichkeit wiederholt sie sein äußeres Ansehen in anderem Bereich, auf der Unterseite der Flügel dieses ihres Schmetterlings, zur Verblendung anderer ihrer Geschöpfe. Warum aber hat gerade dieser den listigen Vorzug? Und wenn es freilich zweckmäßig ist für ihn, daß er in Ruhestellung aufs Haar einem Blatte gleicht, – wo bleibt die Zweck {28} mäßigkeit, von seinen hungrigen Verfolgern aus gesehen, den Eidechsen, Vögeln und Spinnen, denen er doch zur Nahrung bestimmt ist, die ihn aber, sobald er will, mit allem Scharfblick nicht ausfindig machen können? Ich frage das euch, damit nicht gar ihr mich danach fragt.«
    Konnte nun dieser Falter zu seinem Schutze sich unsichtbar machen, so brauchte man in dem Buche nur weiter zu blättern, um die Bekanntschaft solcher zu machen, die durch augenfälligste, ja aufdringliche, weithin reichende Sichtbarkeit denselben Zweck erreichten. Sie waren nicht nur besonders groß, sondern auch ausnehmend prunkvoll gefärbt und gemustert, und, wie Vater Leverkühn hinzusetzte, flogen in diesem scheinbar herausfordernden Kleide mit ostentativer Gemächlichkeit, die aber niemand frech nennen möge, sondern der eher etwas Schwermütiges anhaftete, ihres Weges dahin, ohne sich je zu verstecken und ohne doch, daß je ein Tier, weder Affe, noch Vogel, noch Echse, ihnen auch nur nachgeblickt hätte. Warum? Weil sie ein Ekel waren. Und weil sie durch ihre auffallende Schönheit, dazu durch die Langsamkeit ihres Fluges, eben dies zu verstehen gaben. Ihr Saft war von so scheußlichem Geruch und Geschmack, daß, wenn einmal ein Mißverständnis, ein Fehlgriff vorkam, derjenige, der sich an einem von ihnen gütlich zu tun gedachte, den Bissen mit allen Anzeichen der Übelkeit wieder von sich spie. Ihre Ungenießbarkeit ist aber in der ganzen Natur bekannt, und sie sind sicher, – traurig sicher. Wir wenigstens, hinter Jonathans Stuhl, fragten uns, ob dieser Sicherheit nicht eher etwas Entehrendes zukomme, als daß sie heiter zu nennen gewesen wäre. Was aber war die Folge? Daß andere Arten von Schmetterlingen sich trickweise in denselben Warnungsprunk kleideten und denn also auch in langsamem Unberührbarkeitsfluge melancholisch-sicher dahinzogen, obgleich sie durchaus genießbar waren.
    Angesteckt von Adrians Erheiterung durch diese Nachrich {29} ten, einem Gelächter, das ihn förmlich schüttelte und ihm Tränen erpreßte, mußte auch ich recht herzlich lachen. Aber Vater Leverkühn verwies es uns mit einem »Pst!«, denn er wollte all diese Dinge mit scheuer Andacht betrachtet wissen, – derselben geheimnisvollen Andacht, mit der er etwa die unzugängliche Zeichenschrift auf den Schalen gewisser Muscheln betrachtete, indem er auch wohl seine große, viereckige Lupe dabei zu Hilfe nahm und sie auch uns zur Verfügung stellte. Gewiß, der Anblick dieser Geschöpfe, der Schnecken und Muscheln des Meeres also, war ebenfalls hoch bedeutend, wenigstens wenn man unter Jonathans Führung durch ihre Abbildungen ging. Daß alle diese mit herrlicher Sicherheit und so kühnem wie delikatem Formgeschmack ausgeführten Gewinde und Gewölbe mit ihren rosigen Eingängen und der irisierenden Fayencepracht ihrer vielgestaltigen Wandungen das Eigenwerk ihrer gallerthaften Bewohner waren – wenigstens wenn man an der Vorstellung festhielt, daß die Natur sich selber macht, und nicht den Schöpfer heranzog, den als phantasievollen Kunstgewerbler und ehrgeizigen Künstler der Glasurtöpferei zu imaginieren, denn doch sein Seltsames hat, so daß nirgends
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