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Doktor auf Abwegen

Doktor auf Abwegen

Titel: Doktor auf Abwegen
Autoren: Richard Gordon
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Manchmal wieder ist er konservativ, setzt sein Sparprogramm durch und reduziert die Bücher in der Stadtbibliothek. Er wird ebensooft von einem Mitglied der Labourpartei wie einem Tory geführt. Auf diese Weise kann Spratt’s Bottom während der närrischen Zeit der allgemeinen Wahlen als ein Mikrokosmos Großbritanniens hochgespielt werden», erklärte Sir Lancelot. «Dann sind die Straßen voll von jungen Männern und Frauen mit Fernsehkameras, Mikrofonen und Rechentafeln, die ernsthaft versuchen, den Wahlausgang zu ermitteln. Meistens irren sie sich dabei. Die Bewohner von Spratt’s Bottom finden einen unangebrachten Geschmack daran, Experten - wie übrigens alle anderen Leute auch - als Narren hinzustellen. Hier vermengen sich die manuellen mit den geistigen Arbeitern», kündigte er an, als sie in die breite Hauptstraße einbogen.
    Die frommen Viktorianer hatten die normannische Kirche einer unbarmherzigen Restauration unterzogen. Sie hatten eine Kombination von Rathaus, Bezirksgericht und Polizeistation gebaut, die nun alle zusammen einem Riesengefängnis ähnelten. Auf dem Grund und Boden der Cherrymores hatten sich städtische Ämter breitgemacht. Die Hufschmiede war verschwunden, nur das elisabethanische Wirtshaus hatte sich nicht verändert; vier Jahrhunderte hatten dem erquicklichen Brauen von englischem Bier nichts anhaben können.
    Die alteingesessenen Metzger, Frischgemüse- und Stoffhändler waren schon seit langem in die geräumigen und grell erleuchteten Supermärkte getrieben worden, in denen das Einkäufen, einstmals eine Vergnüglichkeit, zu einer Expedition ausartete. Das eine Ende der Hauptstraße, das von mit Einkaufstaschen und Kleinkindern beladenen Fußgängern wimmelte, war in Ungnade gefallen. Es hatte nur heruntergekommene kleine Läden mit billigen alkoholischen Getränken und Autobestandteilen, die Rangierliste der Eisenbahn, Treibstoffdepots und Müllablagerungsstätten aufzuweisen. Hier stand das Heilige-Grab-Hospital.
    Sir Lancelot begann zu fluchen.
    «Oh, da ist ein Aufstand ausgebrochen», rief Amelia ängstlich.
    «Diese verdammten Demonstranten», stieß Sir Lancelot wütend hervor. «Die Pest unserer Zeit. Will sagen», teilte er ihr salbungsvoll mit, «die Bürger haben selbstverständlich das Recht, auf friedliche Art ihre Beschwerden vorzubringen. Das ist zu einer nationalen Freiluftunterhaltung wie der Fußball geworden, mit dem die Teilnehmer sie oft verwechseln.»
    Er verlangsamte die Fahrt. Der überfüllte Vorhof des Hospitals wimmelte von hin und her wogenden Köpfen, von denen einer oder zwei Polizeihclmc trugen. Darüber flatterten mehrere unbeholfen hingeschmierte Spruchbänder, auf denen Sir Lancelot Argumente wie: W IR VERLANGEN SAUBER GEFEGTE R ÄUME, RAUS MIT DEN K ÜCHENSCHABEN oder: AUCH A RBEITER WOLLEN SICH WASCHEN, entziffern konnte.
    «Diese verdammte OHA!» grollte er.
    «Was meinen Sie mit Oha?»
    «Die Organisation der Hospital-Arbeiter>», brach es wild aus ihm hervor. «Dieses Gewerkschaftsgesindel. Will sagen», korrigierte er sich, «sie vertritt die legitimen Interessen aller jener rechtschaffenen Krankenträger, Tee-Schwestern, Leichenhausdiener und anderer Funktionäre, ohne die wir Arzte nicht arbeiten könnten. Heute früh regen sie sich ein bißchen zu sehr über die Zustände im Hospital auf. Zugegeben, das Heilige Grab ist kein Bunter’s Hotel, doch völlig zweckentsprechend. Leider setzen sich die Arbeiter extravagante Ideen in den Kopf, wie ein Krankenhaus aussehen sollte. Das kommt alles vom vielen Fernsehen.»
    «Demonstrieren Sie auch?» fragte ihn Amelia. Sie starrte ihn fasziniert an, als Sir Lancelot den Wagen anhielt.
    «Meine Gesellschaftsklasse zieht es vor, schmerzerfüllte Briefe an die Times zu schreiben.»
    «Lancelot, Sie beißen sich Ihre Lippe noch blutig.»
    «Jetzt ist wohl die Gelegenheit gekommen, mit Panzerwagen-Taktik vorzugehen.» Er betätigte die Hupe, ließ das Fenster herab und brüllte: «Ich führe eine Hochschwangere. Macht den Weg zur Gebärklinik frei.»
    «Was rief Ihnen der junge Mann eben zu?»
    «, glaube ich. Die übliche Bezeichnung für jeden, der einem anderen in der mildesten Form Disziplin beibringen will. Zum Glück konnte ich zu einer weitaus treffenderen Einschätzung der Faschisten kommen als er, in jenen sechs Jahren nämlich, als sie mich umzubringen versuchten.»
    Das Auto zwängte sich durch die einander puffende Menge auf einem kurzen Verbindungsweg zwischen den
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