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Dohlenflug

Dohlenflug

Titel: Dohlenflug
Autoren: Georg Gracher
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gamslederner Herrentracht wurde von einigen jungen Frauen umringt, eine hübscher
     als die andere. Der Mann war etwa vierzig Jahre alt, weder besonders groß
     noch besonders attraktiv, hatte aber eine sportliche Figur, dunkles
     gelocktes Haar und einen grausamen Mund ähnlich dem, der einen Sean
     Connery unverwechselbar gemacht hat.
    Ein Kurgast aus dem
     Ruhrgebiet suchte einen Anknüpfungspunkt, um mit dem Mann ins Gespräch
     zu kommen – und über ihn vermutlich auch mit den Grazien an
     seiner Seite.
    »Entschuldigen Sie,
     junger Mann, können Sie mir sagen, wen diese Büste auf dem
     Marmorblock darstellt?« Er zeigte auf das Kaiser-Franz-Denkmal vor
     dem »Salzburger Hof«.
    Der »junge Mann«
     war in etwa gleich alt wie der Frager, antwortete aber trotzdem geduldig:
     »Das ist Franz der Erste aus dem Haus Habsburg, Kaiser von Österreich,
     vor 1809 als Franz der Zweite sogar noch Kaiser des Heiligen Römischen
     Reiches deutscher Nation.« Die Auskunft klang auswendig gelernt, der
     Gamslederne gab sie nicht zum ersten Mal.    
    »Was Sie nicht sagen!
     Und warum haben ihm die Hofgasteiner ein Denkmal gesetzt?«
    Der Gefragte erwog einen
     Augenblick lang, den aufdringlichen Menschen mit einem Hinweis auf die
     Inschrift am Sockel abzufertigen, entschied sich aber als gelernter Österreicher
     doch für die Höflichkeit.
    »Das war so: Die
     Hofgasteiner hatten mit dem Kardinal Ladislaus Pyrker einen mächtigen
     Fürsprecher bei Seiner Apostolischen Majestät. Seine Büste
     befindet sich übrigens gleich da vorn neben der Kirche. Der Kaiser
     verpflichtete also die Badgasteiner, den Hofgasteinern auf ewige Zeiten
     einen Teil ihres Thermalwassers zu überlassen, und dafür haben
     ihm die Hofgasteiner dieses Denkmal errichtet. Wie ich finde, zu Recht.«   
    »Sie sind wohl
     Badgasteiner?«
    »Sie sagen es.«
     Der Gamslederne grinste, war aber mit den Gedanken sichtlich woanders, was
     auch der prallen Brünetten aufgefallen zu sein schien, die sich bei
     ihm eingehakt hatte.
    »Pauli, was ist nur
     heut los mit dir? Dich interessiert der Umzug ja überhaupt nicht, und
     du hast der Lisi und mir noch kein einziges Kompliment zu unseren Dirndln
     gemacht. Stattdessen starrst du dauernd auf das junge Mensch da drüben
     auf der anderen Straßenseite.«
    Das junge Mensch war das etwa
     vierzehnjährige rotblonde Mädchen mit dem Handy am Ohr. Als es
     jetzt bemerkte, dass es beobachtet wurde, verschwand es rasch in der
     Zuschauermenge.
    »Ja, seit wann stehst
     du denn auf so grüne Zwetschgen, wenn die reifen Äpfel vor
     deiner Nase hängen?«, krähte Lisi an seiner rechten Seite
     und drückte das Mieder ihres Dirndls und die darin befindlichen
     ansehnlichen »Äpfel« fest gegen seinen Oberarm.
    »So ein Blödsinn,
     ich steh doch nicht auf Kinder«, verwahrte sich Pauli. »Ich
     hab das Madl nur mit einer Verwandten verwechselt. Deshalb hab ich
     hingschaut. Kommt, gehn wir auf ein Schnapserl zum Kirchplatz hinüber!«

 
    3
    »HABEN SIE irgendetwas
     an der Leiche verändert?«, fragte Oberleutnant Melanie Kotek
     vom Landesgendarmeriekommando Salzburg die Hütteneignerin.
    »Wo denken Sie hin,
     Frau … Frau …«
    »Kotek«, ergänzte
     Kotek. Sie war müde. Zuerst die Fahrt am späten
     Sonntagnachmittag vom Franz-Hinterholzer-Kai in Salzburg bis ins Gasteiner
     Tal und dann auch noch hier herauf. Es war kaum zu glauben, aber für
     die paar Kilometer von der Gasteiner Klamm zur Rettenwänd-Hütte
     im Schwalbenkar hatten sie ebenso lang benötigt wie für die
     gesamte Strecke zuvor. Dabei hatte Chefinspektor Leo Feuersang den
     Dienst-Quattro regelrecht über die Forststraßen geprügelt,
     und Gruppeninspektor Werner Wegener von der Spurensicherung, der Fahrer
     des zweiten Audi, war nicht zimperlicher gewesen. Seine Beifahrer,
     Bezirksinspektor Oliver Stubenvoll, Leiter der Spusi, und Dr. Sebastian
     Pernauer, Chef der Gerichtsmedizin Salzburg, waren jetzt noch grün im
     Gesicht.
    »Nein, Frau …
     äh … Oberleutnant, natürlich hab ich den armen Fredl
     nicht angerührt«, ereiferte sich Resi Neuhuber. Die Tränen
     schossen der noch immer geschockten Frau über die gut gepolsterten
     Wangen. »Nicht einmal angetippt hab ich ihn, ob er vielleicht noch
     lebt. Mich hat’s viel zu sehr gegraust. Schon als ich in die Hütte
     getreten bin, hat sich ein dichter Schwarm Schmeißfliegen von seiner
     Leiche erhoben, und es hat gestunken wie in einem aufgelassenen
    
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