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Dohlenflug

Dohlenflug

Titel: Dohlenflug
Autoren: Georg Gracher
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Diese Vögel riechen Blut kilometerweit. Als ich dann gesehen hab,
     dass die Hüttentür einen Spaltbreit offen stand, hat mich das
     endgültig alarmiert. Hab gedacht, irgendein Sandler hätte was
     gewildert und sich hier eingenistet. Also hab ich zu Hause angerufen und
     meinen Leuten gesagt, was ich vorgefunden hab.«
    »Hier oben hat man
     Handyempfang?«, warf Melanie Kotek ein.
    »Natürlich. Sie
     haben doch die Relaisstation drüben am Stubnerkogel direkt im
     Blickfeld.«
    »Gut. Und was haben Sie
     dann gemacht?«
    »Ich hab mein
     finnisches Jagdmesser gezogen.«
    Sie nahm es aus einer
     Oberschenkeltasche ihrer grünen Jagdhose und zog es aus der
     schlichten Lederscheide. Es war ein Hirschfänger mit furchterregend
     breiter und scharf geschliffener Klinge.
    »Ohne fahr ich nie
     allein irgendwohin. Heutzutage rennt ja überall Gesindel herum.
     Schließlich hab ich die Tür mit dem Fuß aufgestoßen
     – und bin mordsmäßig erschrocken. Eine Dohle hatte sich
     in ihrer Gier bis ins Innere der Hütte gewagt und flatterte panisch
     krächzend an mir vorbei ins Freie.«
    »Ja, die Gier ist ein
     Luder«, fühlte sich Feuersang zu kommentieren bemüßigt.
    Resi Neuhuber zuckte mit den
     Achseln. »Da lag Fredl dann.«
    »Er war nicht
     zugedeckt?«
    »Nein, er lag so da wie
     jetzt. Ein furchtbarer Anblick. Und vorgestern Vormittag habe ich noch auf
     der Sparkasse mit ihm getratscht.« Sie wurde kurzatmig, und die Tränen
     begannen wieder zu fließen.
    »Du hast ihn also näher
     kennt?«, fragte Feuersang im breitesten Pongauer Dialekt und outete
     sich durch das Duzen auch gleich als Innergebirgler.
    »Wieso denn näher?«,
     fragte die resolute Fünfzigerin misstrauisch zurück, ohne
     allerdings im Geringsten über die vertrauliche Anrede beleidigt zu
     sein.
    »Nun, du sagtest doch
     eben –«
    »Ach, du meinst, weil
     ich mit ihm getratscht habe? Ha! Würde ich jeden Mann näher
     kennen, mit dem ich ein bisschen plauder, da würde mir mein Alter
     sauber den Marsch blasen. Nein, ich kannte Fredl nicht näher. War ja
     auch vollkommen überrascht, ausgerechnet ihn hier als Leiche
     anzutreffen.«
    »Er hatte einen Schlüssel
     zu der Hüttentür«, gab Feuersang zu bedenken.
    Sie zuckte mit den Achseln.
     »Woher er den hatte, weiß ich nicht. Von mir jedenfalls nicht.
     Ich kann mir bei seinem Ruf zwar durchaus vorstellen, wofür er die Hütte
     brauchte, aber meine Familie und ich, wir haben nichts damit zu tun. Fredl
     war zweifellos ein sympathischer Bursche, hatte immer ein nettes Wort für
     einen übrig. Vielleicht bin ich ja deshalb öfter zur Bank
     gegangen, als ich eigentlich gemusst hab, aber mehr war da wirklich nicht
     dahinter.«
    »Warum denn nicht?«,
     fragte Feuersang, den Skeptiker spielend. »Du bist doch eine ganz
     saubere Person.«
    Resi Neuhuber kicherte
     verlegen. »Du bist ja ein noch ärgerer Schmeichler, als der
     Fredl es war. Aber nein, bei ihm waren schon andere Hasen angesagt, jüngere
     und knackigere. Würde mich nicht wundern, wenn –« Sie
     verstummte plötzlich.
    »Wenn was?«,
     setzte Feuersang sanft nach. Kotek hielt sich jetzt zurück, ihr
     Kollege hatte sichtlich den besseren Draht zur Zeugin.
    »Also, wenn Salli,
     seine Frau, etwas mit seinem Tod zu tun hat. Eigentlich hab ich zuerst an
     sie gedacht, als ich ihn da so liegen sah. Andererseits …«
    Feuersangs aufmunternder
     Blick bewegte sie zum Weiterreden. »Andererseits will es mir einfach
     nicht in den Kopf, dass sie für eine derartige Sauerei verantwortlich
     sein soll. Sie ist selbst kein Kind von Traurigkeit, deshalb passt eine so
     abartige Verstümmelungsnummer als Rache einfach nicht zu ihr. Wäre
     er vergiftet worden oder hätte er einen rätselhaften Autounfall
     gehabt, dann wäre ich die Letzte gewesen, die sie nicht sofort verdächtigt
     hätte. Schließlich werden durch seinen Tod für sie gleich
     mehrere Probleme gelöst.«
    »Nämlich welche?«
     Feuersang schenkte der Zeugin sein gewinnendstes Lächeln. Respektlose
     Kollegen bezeichneten es auch gern als Nussknacker-Grimasse, aber Resi
     Neuhuber schien es zu gefallen.
    »Nun, erstens ist sie
     ihn los. Jetzt kann sie ihr Leben endgültig so leben, wie es ihr
     schon immer vorschwebte, und kein Fredl wird ihr jemals wieder ihre anrüchige
     Jugend in der Öffentlichkeit vorwerfen – sie war schon als
     junges Mädchen ein ziemlich leichtes Hemd. Zweitens erbt sie das
     Haus, gemeinsam mit ihrer Tochter natürlich. Aber
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