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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten
Autoren: Norbert Klugmann
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und sprach über günstige und ungünstige Nahrungsmittel. Damit sagte er der Frau nichts Neues. Aber die Schwester liebte Kohl und aß ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Da Kohl auch im Winter verfügbar war, hörten die Blähungen selbst dann nicht auf, wenn wegen der strengen Kälte kein Fenster geöffnet werden konnte.
    »Manchmal denke ich, sie will uns in den Himmel furzen«, sagte die Frau unvermittelt. »Ihre Kinder kommen ganz nach ihr. Ihr macht Euch keine Vorstellung, was bei uns manchmal los ist.«
    »Oh doch, ich denke, meine Phantasie reicht so weit.«
    Er schlug Kümmel vor und alles, was den Leib beruhigen konnte. Nun trafen sich die Weisheit des Heilers und die Kenntnis des Arztes. Zufrieden zog die Frau von dannen. Tänzer atmete auf, ihm war bewusst, dass er mit einem blauen Auge davongekommen war.
    Als er das Wartezimmer leer kuriert hatte, schrieb er zwei Briefe und überreichte sie dem Boten, um sie an dieherrschaftlichen Adressen zu bringen. Das war so, als hätte sich Tänzer persönlich auf den Weg gemacht. Der Bote, Bauernsohn und ehemaliger Soldat, erledigte seit einem Jahr zuverlässig die Wege des Stadtphysicus. Er trug Tänzers Schriften in die Druckerei, sah Zahnreißern auf die Finger, damit sie sich nicht in die Taschen der vom Zahnschmerz betäubten Patienten verirrten. Er schaute auch bei Adressen vorbei, unter denen Pfuscher und betrügerische Heiler anzutreffen waren, bevor sie aus der Stadt verwiesen wurden. Auch dies fiel in Tänzers Zuständigkeit.
    In der letzten Stunde wurde es noch einmal lebendig. Fieber, Milchstockung, Beschwerde über eine Hebamme, deren rücksichtslose Art in letzter Zeit Unfrieden erzeugt hatte. Zuletzt saß die Frau mit der unruhigen Brust vor ihm. Sie kreiste den halben Körper ein, um den Herd ihres Unwohlseins zu beschreiben, und geriet in noch größere Unruhe, als Tänzer ihr Sinn und Wirken des Herzens und des Blutkreislaufs vor Augen stellte.
    »Das will ich gar nicht wissen«, stieß sie hervor, »das darf ich mir nicht vorstellen. Das würde mich nicht schlafen lassen.«
    »Aber jeder Mensch hat ein Herz und jeder Hund und jeder Vogel. Glaubt Ihr nicht, dass das eine segensreiche Erfindung ist?«
    Er durfte sie nicht berühren, aber er war ein erfahrener Arzt und wusste, was man tut, wenn Zeugen zugegen sind und wenn nicht. Oft war Stine dabei, sie zählte nicht und erzählte nichts. Stine hätte für den Arzt getötet, was er tat, konnte nicht falsch sein. Wenn er meinte, eine Hand auf den Puls legen zu müssen oder ein Ohr auf die bekleidete Brust, so war das richtig und im Interesse der Patientin.
    Dieses Herz schlug viel zu schnell. Aber die Frau war nicht dick und im Gesicht war sie nicht rot. Sie bestritt, Nahrungsmittel und Getränke zu sich zu nehmen, die den Menschen aufrührten. Angeblich hatte sie keinen Ärger in der Familie und keine Angst. Sie träumte nicht oder nur schöne Dinge, von Blumenwiesen, gedeckten Tischen und geheizten Öfen. Niemand bedrohte sie,ihr Leben lief in geordneten Bahnen. Warum schlug das Herz so schnell? Sie war bereit, alles zu geben, was sie zu bieten hatte: Urin, Aderlass, spucken wollte sie, weil die Farbe und Festigkeit weiterhelfen konnten. Etwas in Tänzer rief: Taste sie ab, überall. Die Leber und die Nieren, suche nach Knoten unter der Haut, und wenn sie schreit, drohe ihr mit dem Leibhaftigen.
    Der Wahn war gleich vorüber, aber er dachte diese Gedanken nicht zum ersten Mal und wusste nicht, was er davon halten sollte. Er war ein angesehener Mann und Mediziner. Die Zahl seiner Feinde war klein, fast jeder war ein Galgenstrick und Betrüger. Von dieser Seite hatte er nichts zu befürchten. Tänzer dachte: Du musst mutiger sein, du musst die Grenzen verschieben. Du tust es für einen guten Zweck. Die Chirurgen gehen unter die Haut. Du tust es nur, wenn du die Leichen anschaust. Bei denen ist nichts mehr zu retten. Bei den Frauen ist viel zu retten. Du musst mutiger werden.
    Vor der Tür entstand Unruhe, Schritte, lautes Reden, Geräusche wie von Stöhnen und Husten. Als Tänzer die Tür öffnete, beugte sich Stine über das Kind, das auf dem Boden lag. Der Junge war ungut angelaufen, er würgte und bekam keine Luft. Ein Halbwüchsiger, verschwitzt und eingeschüchtert an der Wand stehend, sagte: »Ich habe ihn gefunden, er hatte sich versteckt. Wie kann man nur so dumm sein?«
    Was das Kind verschluckt hatte, wusste der Junge nicht. Aber er kannte die Eltern und rannte davon, um sie zu
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