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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten
Autoren: Norbert Klugmann
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breites Angebot an Medizinern unddie medizinische Kenntnis befand sich auf hohem Niveau. Es ging das Gerücht, dass in Halle selbst die Zahnreißer und Barbiere bessere Arbeit ablieferten als in anderen Städten. Natürlich war das nur grausamer Humor. Wer einmal Zeuge geworden war, wie sich ein Zahnreißer über einen wehrlosen Menschen hermachte, würde die Szene nie mehr vergessen.
    Tänzer war vom Rat der Stadt seinerzeit in die weitere und die engere Wahl gezogen worden, aus der er in Form eines Streitgesprächs mit dem legendären Lorenz Ehrengott als Sieger hervorgegangen war. Ehrengott hatte die Niederlage nie verwunden, hatte erst gegen Tänzer gestänkert, dann Falschmeldungen in die Welt gesetzt, bevor er ausgerechnet nach einem an sich nicht gefährlichen Schröpfen heimgegangen war und vor dem Eintritt ins Paradies zweifellos ein Streitgespräch mit Petrus angezettelt hatte, denn Ehrengott behielt für sein Leben gern recht.
    In sechzehn Jahren hatte Tänzer die Zweifler überzeugt und die Anhänger in begeisterte Anhänger verwandelt. Der Mann war erstklassig. Jeden Bereich seiner vielfältigen Aufgaben hatte er zur allgemeinen Zufriedenheit erledigt. Wo es Anlass zur Klage gegeben hatte, war Tänzer der Erste gewesen, der Schuld auf sich genommen und Änderung zugesagt hatte. Der Mann besaß einen hohen Anspruch an sich selbst. Nie hatte er in Gefahr geschwebt, seine Pflichten als Arzt zu vernachlässigen. In anderen Städten amtierten Stadtphysici, die sich im Handumdrehen in gelehrte Autoren verwandelt hatten, die mehr in der Studierstube zu finden waren oder auf Reisen als in ihrer Praxis. Dabei gehörte es zur Grundausstattung eines guten Stadtphysicus, die Basis nicht aus dem Auge zu verlieren. »Ich weiß, woher ich komme und wohin ich gehen werde, wenn ein Nachfolger mein öffentliches Amt übernommen hat.« Es war diese Nüchternheit, die Tänzer Respekt zugetrieben hatte. Zwar war der Mann unbegabt in Fraktionsbildung und Intrige, aber man konnte nicht alles haben. Zur Not fanden die HalleschenPolitiker andere Mitspieler in dem Spiel, das die Hälfte ihrer Arbeitszeit ausmachte.
    Dies alles und noch mehr erwähnte der Bürgermeister, er vergaß auch nicht, Tänzers Lob der roten Bürgermeisterjacke zu erwähnen. Ein einziges Mal statt der von den Zuhörern zu erleidenden vier Erwähnungen hätte gereicht, aber dies war auch die Stunde, in der man mit Rührung an Tänzer dachte. Und es geschah nicht ohne Eleganz, wie der Bürgermeister die Kurve bekam, ohne aus ihr hinausgetragen zu werden.
    »Unser guter Tänzer ist nicht tot. Er lebt und wird weiterleben. Aber er ist schwach und braucht Schonung. Dies kann, nach allem, was mir die Fachleute sagen, einige Zeit dauern. Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten, was das Amt des Stadtphysicus betrifft. Wir können einen neuen Kollegen bestimmen, auf Dauer. Er tritt sein Amt an, Tänzer schlägt die Augen auf, und niemand von uns wird der Erste sein wollen, der diesem Mann dann unter die Augen tritt. Jemand müsste es ihm sagen. Müsste ihm sagen, dass eine Verletzung reicht, um bei uns seines Amts enthoben zu werden. Für mich ist das eine unwürdige Vorstellung.
    Die zweite Möglichkeit ist: Wir tun nichts. Alles bleibt unerledigt, und wenn Tänzer vier Wochen im Bett liegt, werden wir in vier Wochen erneut über das Thema sprechen und in acht Wochen ein weiteres Mal. Wir werden immer nervöser werden und gereizter, und wenn wir dann eine Entscheidung treffen, wird sie unter Zeitdruck getroffen werden. Ich erinnere mich an keine Entscheidung, die durch Zeitdruck besser ausgefallen wäre. Was brauchen wir also, Kollegen? Wir brauchen eine dritte Möglichkeit. Womit wir beim Kollegen Boff wären.«
    Wer genau hinsah, hätte erkannt, wie Boff den Kopf hob. Es war eine Winzigkeit, mit der dieser Mann plötzlich ganz bei der Sache war.
    »Lieber Boff«, fuhr der Bürgermeister fort, »ich will nicht verhehlen, dass wir zuerst an Mediziner aus Halle gedacht haben. Es liegt ja auch nahe, das ist der natürliche Verlauf. Dereine oder andere hat von sich aus den Arm gehoben. Er hätte das besser nicht getan, denn nun steht er auf einem Papier, und oben auf dem Blatt steht bestimmt nicht: Achtung! Hoch begabt und seriös. Aber viele haben von sich aus auch gesagt, dass sie sich das Amt nicht zutrauen. Viele haben gesagt, dass man dieses Amt nur ganz oder gar nicht ausüben könne. Kaum einer hat sich bereit erklärt, für die Zeit zur Verfügung zu stehen, die
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