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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten
Autoren: Norbert Klugmann
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schleppte.
    »Rohwedder, reiß dich zusammen! Hast du vergessen, was dir bei deiner letzten Vertreibung passiert ist?«
    Der derart Angesprochene fuhr herum, einen Moment sah es aus, als würde er sich über den unerwarteten Besucher freuen. Dann lief er dem Korbträger hinterher, rangelte und rang und zeterte und zeterte weiter, als er längst auf dem Boden lag. »Mörder« nannte er den Träger, »Teufel« und »verlorene Seele«. Dabei sah der Beschimpfte so teilnahmslos aus, als habe er statt Rohwedder soeben eine Kakerlake aus dem Weg geräumt.
    Zwei Pferde waren vor den Wagen gespannt, auf dem sich die Habseligkeiten stapelten.
    »Ich habe für ein halbes Jahr im Voraus bezahlt!«, rief Rohwedder das Gebäude an. »Das reicht bis 1733!«
    »Das war vor einem Jahr!«, antwortete das Gebäude mit der Stimme einer Frau. Boff half dem jungen Mann auf die Beine.
    »Nicht saubermachen«, flüsterte Rohwedder, »nicht abklopfen. Alles lassen, wie es ist. Die Policey soll sehen, was sie mir angetan haben. Eine Anzeige wegen Verletzung meines Körpers ist das wenigste.«
    »Lass gut sein«, schlug Boff vor. »Für diesmal solltest du es gut sein lassen.«
    Der andere starrte ihn fassungslos an. »Aber das kann ich nicht«, rief er anklagend. »Ich bin nicht der Mann, der Dinge auf sich beruhen lässt!«
    »Könnte das ein Teil deiner Probleme sein?«
    »Das habe ich nicht gehört. Ihr habt nichts zu mir gesagt. Und woher soll ich jetzt eine Wohnung kriegen? Wo soll ich meine Versuche fortführen? Ich brauche Platz für mein Laboratorium.«
    »Und für die Leichen«, sprach das Haus. Das Schaudern in der Stimme war nicht zu überhören.
    Boff zwang Rohwedder, ruhig zu werden und dem Blick des Älteren nicht auszuweichen.
    Dann sagte Boff: »Ich bin gekommen, um dich abzuholen.«
    »Aber woher wusstet Ihr, dass mich die Teufel …?«
    »Ich wusste nicht, dass du wieder mit den Teufeln ringst. Ich habe den Wagen dabei, siehst du? Ich habe eine Wohnung, dort wirst du ein Zimmer beziehen. Nein, die Leichen nicht. Für deine Leichen finden wir eine andere Unterkunft. Dort werden sie es schön ruhig haben, da wird sie keiner stören.«
    Wenn Rohwedder anfing, Fragen zu stellen, wünschte man sich schnell, er hätte lieber das Maul gehalten. Denn der Mann stellte nicht eine einzige Frage und danach vielleicht noch eine zweite. Aus Rohwedder stürzten die Fragen heraus wie Ratten aus ihrem Nest, nachdem man es in Brand gesetzt hatte. Boff antwortete bemüht und sachlich. Aber wie meistens, wenn Rohwedder seine fünf Minuten hatte, begann er bald, die Fragen falsch zu beantworten. Teilweise log er, was er sonst nie tat. Es war etwas an dem jungen Mann, das einen reizte, sich so zu verhalten.
    »Stadtphysicus! Aber Doctor! Ihr und Stadtphysicus! Ihr wolltet doch nie ein Beamter werden!«
    »Streng genommen bin ich kein Beamter. Außerdem ist es nur vorübergehend. Und ich kann als Arzt arbeiten. In Halle!«
    »Aber Doctor! Ihr und eine Praxis! Wolltet Ihr nicht immer reisen!? Habt Ihr nicht gesagt, bei den Deutschen schlafen Euchdie Füße ein!? Habt Ihr nicht gesagt, dass es nicht nur Leben gibt und den Tod, sondern auch ein Drittes: nämlich wenn man zu lange am selben Ort verbringt?«
    Rohwedder besaß das irritierende Talent, wichtige Dinge zu vergessen und unwichtige Dinge parat zu haben – im falschesten Moment. Boff wurde unsicher. War es wirklich eine gute Idee, den jungen Quälgeist in die Nähe zu holen? Er kannte Rohwedder seit zwei Jahren und hatte mit ihm in dieser Zeit viel erlebt. Die Leidenschaft des Jüngeren galt den Arterien, unermüdlich beschaffte er Leichen, um der, wie er es nannte, »Vernünftigkeit des Bluts« nachzuspüren. Boff wusste, dass er Illustrationen herstellte, die er niemandem zeigte und die auch Boff noch nicht gesehen hatte. Dennoch zweifelte Boff nicht daran, dass es diese Illustrationen gab. Rohwedders Traum war ein Atlas des menschlichen Körpers. Erst wenn das Werk zu seiner Zufriedenheit vorliegen würde, wollte er sich mit ihm an einer Universität bewerben. Bis dahin gab er den eitlen und großmäuligen Privatgelehrten, weil er hinter dieser Fassade seine von ihm selbst schmerzlich gefühlte Minderwertigkeit verbergen konnte.
    Die Träger reagierten ungerührt auf die Adresse, die ihnen Boff nannte. Dabei mussten sie wissen, dass am Marktplatz niemand wohnte, der wenige Meilen entfernt in hohem Bogen aus seiner Bleibe geflogen war. Wegen Mietschulden! Ein Träger immerhin ließ sich
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