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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten
Autoren: Norbert Klugmann
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traditionell so hart anging wie keine zweite, härter als eine schmutzige Hure, energischer als die Frau des Pastors, gegen deren Hochmut kein Kraut gewachsen war. Kundiger als Tänzer selbst und alle Doctoren, die er kannte. Und unbeugsam, oh diese Bevölkerungsgruppe war so stur wie eine Mischung aus Ochse, Esel und Papst.
    Vor Tänzer saß eine Mutter!
    Ihre kranke Schwester hatte sie zu Hause gelassen, obwohl beide aus der Stadt stammten und der Weg nicht unzumutbar war. Sie wusste alles, was der Arzt wissen musste, und noch viel mehr. Die Symptome des kranken Magens und schlappen Darms ihrer Schwester beschrieb sie mit der poetischen Wucht eines Gauklers. Für jedes Symptom fand sie Worte, die es dem Arzt leicht machten, sich alles vorzustellen, als würde er es in diesem Moment vor sich sehen. Die Mutter war Beschützerin, Übersetzerin, Antragstellerin in einer Person. Aber oft war sie noch mehr, nämlich ein weiblicher Arzt. Wenn eine Mutter vor ihm saß, konnte Tänzer die Uhr danach stellen, wann die Diagnose auf dem Tisch lag und damit die Forderung nach der richtigen Behandlung. Er hatte Mütter erlebt, die nach der Medizin verlangten, noch bevor sie die Symptome geschildert hatten. Wenn er sich darüber verwundert gezeigt hatte, warfen sie ihm vor, den Betrieb aufzuhalten und seine angelesenen Kenntnisse für wichtiger zu halten als das Herz einer Mutter. In frühen Jahren hatte er sich dazu hinreißen lassen, Streitgespräche zu führen. Sie hatten ihn beschimpft, bespuckt, und mehr als einmal war ein Gegenstand durch den Raum geflogen, der erstaunlich selten sein Ziel verfehlt hatte. Mütter waren wie Drachen. Sie warenstark und Furcht einflößend, sie duldeten keinen Widerspruch und auf Zögern reagierten sie mit Wutausbrüchen.
    Der Arzt hatte nur eine Möglichkeit, dem Kampf mit der Mutter auszuweichen: wenn er darauf verzichtete, die Kranke zu heilen. Da er aber ein Arzt von höchstem Pflichtbewusstsein war, rang er um jede Seele. Die Heilung konnte erst beginnen, wenn er sich mit der Mutter auf eine Diagnose geeinigt hatte. Davor lagen die rhetorischen Scharmützel. Zu den Weisheiten, die seine Berufspraxis Tänzer verschafft hatte, gehörte eine Einsicht: Der Streit mit einer Mutter war stets anstrengend, mochte sie aus einfachsten Verhältnissen stammen, eine solide Bürgerin sein oder mit dem Selbstbewusstsein einer Baronesse auftreten. Nach der Schlacht mit Worten blieb noch die Hürde der richtigen Rezeptur, aber wenn man so weit war, war das Schlimmste überstanden.
    Diese Frau sprach zwar für ihre Schwester, aber der Unterschied war mit bloßem Auge nicht auszumachen. Alles, was Mütter brauchten, war ein Lebewesen, das ihre mütterlichen Triebe weckte. Streng genommen musste sie mit der Patientin nicht einmal verwandt sein. Tänzer erinnerte sich an Gespräche, bei denen er erst nach fünfzehn Minuten gemerkt hatte, dass man nicht über ein Kind, sondern über die Milchkuh sprach.
    Alles wäre einfacher gewesen, hätte er die Diagnose akzeptiert, die ihm die Mütter anboten. Wer vom Land kam, hatte sich mit hundertprozentiger Sicherheit vorher mit einem Heiler besprochen. Was der Heiler vorschlug, sollte der Stadtphysicus absegnen. Streng genommen war die Mutter darauf nicht angewiesen, aber es war eine Frage der Ehre, letztlich war es eine Machtfrage, wie fast jeder sprachliche Verkehr mit Frauen auf die Machtfrage hinauslief. Tänzer wusste, wovon die Rede war, er war seit achtundzwanzig Jahren glücklich verheiratet. Aber ihm war bewusst, dass er, wenn er aus der Praxis nach Hause ging, streng genommen nicht in den Feierabend hineinschritt. Abgesehen von den vielfältigen Aufgaben, die das Amtdes Stadtphysicus mit sich brachte, war auch der Status des Ehemanns eine öffentliche Aufgabe. So sehr er sich glücklich schätzte, eine kluge und selbstbewusste Frau geheiratet zu haben, so klar war ihm, dass eine andere Wahl ihm ein leichteres Leben beschert hätte.
    »Was ist?«, bellte die Mutter. »Ist etwas lustig an dem, was ich sage?«
    »Nein, nein, liebe Frau. Ich muss nur gerade an etwas denken.«
    »Hoffentlich nicht an das, woran die Schweinepriester denken.«
    »Wo denkt Ihr hin? Wollt Ihr, dass ich vor Scham rot anlaufe?«
    »Ach, das tut Ihr nicht. Ihr seid ein Doctor, Ihr wisst alles und kennt alles. Warum sollte so einer noch rot anlaufen? Was ist jetzt mit meinem Rezept?«
    Er fand heraus, dass die Schwester auf den Genuss von Hülsenfrüchten verheerend zu reagieren pflegte
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