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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten
Autoren: Norbert Klugmann
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schrie bei jeder Berührung. Tänzer riet ins Blaue hinein, und als er damit nicht weiterkam, schob er Drohungen hinterher. Die Wahrheit war ein Sturz von der Mauer, die der Mann überwinden musste, um den Einbruch in der Werkstatt des Goldschmieds durchzuführen.
    »Muss ich jetzt sterben?«, fragte er jammernd.
    »Habt Ihr gestohlen?«
    »Wo denkt Ihr hin?«
    »Dass Ihr gestohlen habt.«
    »Es ist möglich, ich erinnere mich schlecht. Ihr habt kein Kraut gegen meine schlechte Erinnerung?«
    »Ich habe ein Kraut, das aussieht wie Tannenzweige.«
    »Zum Essen?«
    »Zum Schlagen. Dreimal am Tag fünfzig Schläge. Stine wird Euch gerne behandeln. Würde Euch heute Nachmittag passen?«
    Als der Mann hinausgehumpelt war, lag der Beutel auf dem Tisch. Klumpen aus den Bächen im Osten.
    Stine wog das Gold in der Hand und sagte: »Die Welt ist schlecht.«
    »Magst du Gold, Stine?«
    »Ich habe eine Brosche mit einer Perle. Sie kommt aus Indien oder von dort, wo es immer warm ist.«
    »Wann trägst du die Brosche?«
    »Ich habe sie selten getragen, jetzt trage ich sie nie mehr.«
    Er ließ die Gelegenheit, dem Raben das Schwarz auszutreiben, ungenutzt verstreichen.
    Nun begann die Parade der Gebrechen. Zweimal kamen noch Männer, sie trieb die aufrichtige Sorge um ihre Frau und um ihre Tochter, die fast eine Frau war, aber den letzten Schritt nicht gehen wollte. Der eine brachte den Urin seiner Frau, der andere die Sorgen eines Vaters, für den es keine Frau gab, die ihm die Sorge um sein Kind abnehmen konnte. Tänzer sprach und hörte zu, stellte Fragen und hörte zu. Der eine ging mit einem Rezept, das er in der Apotheke einlösen würde. Der andere wollte die Fragen des Arztes weitergeben und sich die Antworten gut merken.
    Dann übernahmen wie jeden Tag die Frauen das Regiment. Die Frau des Leutnants mit den Schmerzen in Ellenbogen und Kniegelenken; die Witwe, zart wie Spinnenweben, die nie Hunger hatte und immer schwächer wurde; die Frau des Tischlermeisters, die ihre monatliche Blutung vermisste, obwohl sie noch keine dreißig war; die beiden Töchter des Schulmeisters,die darum wetteiferten, wer die gehorsamere Tochter sei und bei welcher die beim Sturz aus dem Apfelbaum gebrochenen Arme schneller heilen würden; die Frau des Salzhändlers, deren erste Worte lauteten: »Ich muss nicht zu Euch kommen. Ich kann, aber ich muss nicht. Zeigt mir, dass ich mich in Euch irre.«
    Zwischendurch Briefe, immer wieder Briefe. In seinem Behandlungszimmer sah der Stadtarzt kein blaues Blut. Die Fürstin Bengtsson schickte per Boten ihren wöchentlichen Klagebrief. Nichts war besser geworden seit der letzten Epistel, aber Tänzers Angebot, sie im kleinen Schloss eine Stunde Fahrt im Westen aufzusuchen, wurde auch diesmal abschlägig beschieden. »Ich muss und werde damit zurechtkommen, mein lieber Tänzer.«
    Seit zwei Jahren war er ihr »lieber Tänzer«, eine unerhörte Vertraulichkeit, die niemand zu Gesicht bekommen durfte. Die Frau stammte aus vierhundert Jahre altem Geschlecht. Ihr Mann war einer der führenden Geister gewesen, die den Preußen ihre Sorge um das Herzogtum Magdeburg abnahmen. Bei ihm waren ihre Interessen in den besten Händen. Halle, die frühere Hauptstadt des Herzogtums, hatte ihn nur selten gesehen. Das Schloss, Stammsitz des Geschlechts, sah ihn noch seltener. Was der Fürstin in ihrer Waldeinsamkeit hinterbracht wurde, ließ sie entsetzt zur Feder greifen und einen neuen Brief an den Stadtarzt aufsetzen. Der war ausreichend in dieser Welt verwurzelt, um von den Eskapaden des Fürsten bereits aus mehreren Quellen zu wissen. Der Mann zog eine Spur des Ehebruchs durch die Region, besonders im Süden, wo er es angeblich auf mittlerweile vier Bastarde gebracht haben sollte, was die Fürstin in ihren Briefen zart andeutete. Die Frau war ein Nervenbündel, der Zusammenbruch war nur eine Frage der Zeit. Aber sie lehnte die Bitte ab, sich persönlich zu Tänzer zu bemühen. So freundlich, dass sie ihn damit auf die Idee brachte, unerbeten vorzufahren und im Handstreich eine persönliche Begegnung herbeizuführen.
    Der schriftliche Kontakt über Briefe war ein alltäglicher Weg, mit seinen adligen Patientinnen zu verkehren. Einige hatte er, wie die Fürstin, noch nie persönlich gesehen.
    Bis zum frühen Nachmittag blieb Tänzer das Äußerste erspart. Als er sich die Hoffnung erlaubte, diesen Tag auf der Habenseite zu verbuchen, saß sie doch noch vor ihm, das Mitglied der Bevölkerungsgruppe, die ihn
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