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Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen

Titel: Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen
Autoren: Jan Beinßen
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vom Alkohol gerötet war, hatte sein Glas sinken lassen. Ein anderer, er hatte am Spielautomaten gestanden, hatte ihm zugeprostet und wollte einen Trinkspruch loslassen, als sein Blick auf Sina gefallen war. Er war augenblicklich erstarrt.
    Dann war es schlagartig still gewesen. Die Bewegungen des Mannes waren eingefroren wie auch die der anderen. Sina wusste noch genau, was sie in diesem Moment gedacht hatte: Es war wie in einem billigen Western. In diesen klischeehaften Szenen, in denen jeder Gast des Saloons verstummte, sobald sich die Pendeltüren öffneten und der stadtbekannte Halunke hineintrat.
    Aber hier war es anders. Kein revolverschwingender Cowboy hatte die Menge zum Schweigen gebracht, sondern eine zierliche Frau. Blutverschmiert und nur mit angesengten Fetzen am Leib war sie dagestanden. Verloren, wie ein kleines Kind ohne seine Mutter. Sina war es damals vorgekommen, als wären Minuten vergangen, bevor sich jemand zu rühren wagte. Bernhard war der Erste gewesen, der die Bewegungslosigkeit, diese absolute Starre der Situation, durchbrochen hatte. Er stürzte hinter seiner Theke hervor und war auf Sina zugelaufen. Bernhard war es gewesen, der ihr das erste Mal seit Stunden das Gefühl gegeben hatte, überhaupt noch unter Menschen zu sein. Er hatte beruhigend auf sie eingeredet. Er hatte ihr vorsichtig das nasse Haar aus dem Gesicht gestrichen und führte sie dann zu einem Stuhl.
    »Unfall?« – »Etwa ein Totalschaden?« – »Wo ist Ihre Bekannte?« Die Gäste waren plötzlich mit Dutzenden von Fragen auf Sina eingestürmt, nachdem sie ihre anfängliche Zurückhaltung, das starre Gaffen, schnell überwunden hatten. Andere hatten sich zurückgezogen, tuschelten. Sina hatte Satzfetzen »… wohl wieder zu viel getrunken.« aufgeschnappt. Bernhard hatte abermals die Initiative übernommen, zusammen mit seiner Mutter hatte er Sina unter den Armen gepackt, und sie ins Nebenzimmer gebracht. Ein muffiger kleiner Raum stellte die karge Rückzugsmöglichkeit für das Thekenpersonal dar. Sina war in einen Lehnstuhl gesetzt worden. Der Fernseher war angestellt worden. Sie hatte Stimmen wahrgenommen. Die einer Ansagerin aus dem TV-Apparat. Und die der besorgten Wirtin. Diese hatte sich das Telefon geschnappt und offenbar mit dem Notarzt gesprochen.

     
    »He, Süße! Nicht abdriften! Hier spielt die Musik!« Klaus stupste Sina freundschaftlich am Unterarm.
    Sina schreckte auf: »Wie?«, fragte sie irritiert.
    »Mannomann! Kannst du die Vergangenheit nicht mal Vergangenheit sein lassen? Das Ganze ist Wochen her! Du musst anfangen, dich endlich davon zu lösen.«
    Das war typisch Klaus! Einfühlsam wie ein Rhinozeros. Sina zwang sich, ihren Ex nicht anzusehen. Wahrscheinlich hätte sie ihn sonst zur Schnecke gemacht. Wie sie es so oft in den letzten Tagen getan hatte. Immer, wenn er einen Versuch unternommen hatte, die Geschehnisse zu bagatellisieren. Aber der heutige Abend sollte anders verlaufen. Das hatte sich Sina fest vorgenommen. Diesen Abend wollte sie genießen. An diesem Abend wollte sie mit dem Albtraum der zurückliegenden Wochen brechen und einen Neuanfang starten. Also schluckte sie brav runter. Traube für Traube, Käsestückchen für Käsestückchen. Und mit jedem Happen schluckte sie auch einen Teil ihrer Erinnerungen herunter.

     
    Sie zwang sich, die bösen Bilder aus ihrem Kopf zu verbannen. Und dieses Gefühl der Ohnmacht, das sie überfallen hatte, als die Wirtin und ihr Sohn sie in den Nebenraum der Gaststätte verfrachtet hatten.
    Diese Ohnmacht oder vielmehr kindliche Hilflosigkeit hatte sie bei den Versuchen empfunden, Bernhard und seiner Mutter von der Katastrophe in New York zu berichten. Sina hatte sich alle erdenkliche Mühe gegeben, die beiden zum Handeln zu bewegen. Sie hätten Sina in Ruhe lassen sollen und lieber bei Polizei, Bürgermeister oder sonst wo anrufen, um der Welt zu erklären, wie es zu der fürchterlichen Bombenexplosion in den USA kommen konnte.
    Doch die beiden hatten sie nur angestarrt. Mit großen fragenden Augen. Mit zweifelnden Augen. Sie hatten sie wie eine Geisteskranke angestarrt. Die beiden hatten ihr offenbar kein Wort geglaubt. Für sie war wohl alles nur das wirre Gerede einer gerade Verunglückten gewesen, die ohne jeden Zweifel infolge eines schweren Schocks den Verstand verloren hatte.

     
    »Wenn du dich eh nicht mit mir unterhältst, kann ich auch gehen.« Klaus’ Ton war nicht mehr einschmeichelnd. Im Gegenteil: Er klang ernsthaft
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