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Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen

Titel: Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen
Autoren: Jan Beinßen
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Trauben! Kräftige grüne Beeren, beinahe so groß wie Taubeneier, und knackig frisch. Die Krönung aber war der Wein: ein 89er Blauer Spätburgunder. Sina, die eine ausgesprochene Vorliebe für französische Weine hatte, hätte es niemals für möglich gehalten, dass ihr ein Mosel so wunderbar munden konnte.
    Der gebeizte Holztisch war mit Köstlichkeiten randvoll bedeckt. Darunter lag – alle viere faul von sich gestreckt und gemächlich an seinem Hundeknochen knabbernd – der Beagle Tom. Sina gab dem trägen Tier einen zarten Stups mit ihrer Fußspitze. Doch Tom ließ sich nicht stören, schaute nicht einmal auf. Ganz der alte, dachte sich Sina und gönnte ihm seine Ruhe. Sie lehnte sich entspannt zurück.
    Sina fühlte sich rundherum wohl. Klaus war es wirklich gelungen, sie zu verwöhnen. Und Sina genoss es, heute verwöhnt zu werden. Sogar von Klaus. Den Groll, den sie gegen ihn hegte, hatte sie hinten angestellt. Fürs erste wenigstens. Aber Klaus sollte sich bloß nicht voreilig in Sicherheit wiegen. Er würde seine Abreibung noch bekommen. Das hatte sich Sina fest vorgenommen.
    »Wann, sagtest du, wollten die anderen kommen?« Klaus tat sich schwer mit dem Reden, denn seine Wangen spannten sich unter den drei Beeren, die er sich gleichzeitig in den Mund geschoben hatte.
    Sina setzte lächelnd ihr Glas ab. »Vor einer Viertelstunde ungefähr.« Auch sie schnappte sich eine dieser köstlichen Weintrauben. »Aber gib ihnen Zeit. Sie müssen viel aufholen und haben sicher eine Menge zu bereden.«
    »Müschen wir ausch!«, brachte Klaus kauend hervor.
    Tatsächlich. Da hatte er recht, dachte sich Sina. Denn bisher hatte sie ihrem Ex-Freund nicht einmal annähernd die ganze Geschichte erzählt. Diese Sache nahm sie einfach zu sehr mit. Alles, was sie danach gewollt hatte, war ausspannen. Und das hatte sie auch getan. Zuerst, gleich nach dem glücklicherweise nur kurzen Krankenhausaufenthalt, eine Woche auf Rügen. Aber der raue Norden konnte ihre Nerven nicht beruhigen. Das Meer, der Himmel, ja selbst der Wind erinnerten sie permanent an ihre Erlebnisse auf Usedom. Also hatte sich Sina in den Zug gesetzt und war weit in den Süden Deutschlands gereist. Eine Woche Allgäu. Märchenschloss anschauen, ein wenig Kletterei, abends deftig essen. Der pure Kontrast zur Küste.
    Doch Sina wusste, dass sie auch heute, knapp neun Wochen danach, noch immer nicht wieder ganz die Alte war. Die entsetzlichen Bilder aus dem Bunker würde sie ewig im Gedächtnis behalten. Wenn sie abends im Bett lag und nicht einschlafen konnte, schien sich die ganze Tragödie immer aufs Neue zu wiederholen. In ihrem Kopf spielte Sina die letzten Stunden ihres schrecklichen Abenteuers Nacht für Nacht noch einmal durch.

     
    Vor allem ihre Flucht durch den kalten und düsteren Wald war ihr in jeder Einzelheit in Erinnerung geblieben. Blutend, hustend und völlig erschöpft war sie aus dem Bunker gehetzt. Sie hatte kaum noch Luft bekommen. Der heiße Rauch hatte ihr das Atmen fast unmöglich gemacht und das grelle Feuerwerk aus roten, gelben und orangen Funken sie so stark geblendet, dass sie fast nichts erkennen konnte. Dazu dieses Getöse! Das Kreischen des Feuersturms – Sina war es lauter und schmerzhafter als das Triebwerk eines Düsenjets aus allernächster Nähe erschienen. Ihre Ohren waren zunächst völlig taub gewesen. Sie hatte sich minutenlang auf dem feuchten Waldboden wälzen müssen, bevor sie sich wieder hatte orientieren können, ihre Lungen einigermaßen mitspielten und sie endlich aufstehen konnte.
    Und dann ihre Schuldgefühle wegen Gabriele! Sina hatte sich schreckliche Vorwürfe gemacht, dass sie ihre Freundin im Stich lassen musste. Aber es war nicht anders gegangen. Schließlich war sie selbst mit ihren Kräften völlig am Ende gewesen. Alles, was sie tun konnte, bestand darin, den erschlafften Körper ihrer Freundin bis vors Tor des Bunkers zu zerren. Wenn Sina es danach nicht schleunigst heraus aus dem Wald geschafft hätte, wäre es mit ihr selbst zu Ende gewesen.
    Für Sina war es ein schier endloser Weg gewesen. Wie lange sie tatsächlich bis zur ›Schwedenschanze‹ gebraucht hatte, vermochte sie im Nachhinein nicht mehr zu sagen. Waren es Stunden gewesen? Oder bloß 20, 30 Minuten?
    Die ersten Eindrücke, die sie aufgeschnappt hatte, als sie mit letzten Kräften in die Gaststube geplatzt war, hatten sich ihr fest eingeprägt: verständnislose und verschreckte Gesichtsausdrücke der Gäste. Ein Mann, dessen Kopf
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