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Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen

Titel: Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen
Autoren: Jan Beinßen
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ihrer Rechten. Sina erinnerte sich: Das war der Raum, in dem Gabriele ihre Kunstschätze vermutet hatte. Sina hielt ihre Lampe hinein. Im diffusen Licht erkannte sie verwüsteten Nazikitsch: zerbrochene SA-Standarten, zerrissene Hakenkreuzfahnen. Sie schnappte sich eines der tiefroten Fahnentücher und tränkte es im Wasser. Sie warf sich den Stoff um und wickelte das eine Ende um ihren Kopf. Unwillkürlich kam ihr ein sarkastischer Gedanke in den Sinn: »Wenigstens etwas, wozu diese Dinger gut sind.«
    Sina hastete zurück zum Treppenaufgang. Das Feuer war bis auf halbe Höhe nach unten gekrochen. Einen anderen Ausgang zu suchen, hätte sie zu lange aufgehalten. Das würde einem Selbstmord gleichkommen. Der Sauerstoff würde nicht ausreichen. Verzweifelt starrte Sina in das Inferno. Sie fasste all ihren Mut zusammen, zog den Fahnenstoff bis auf einen schmalen Sehschlitz über ihrem Kopf zusammen. Dann rannte sie los. Die Treppe hinauf – zurück zur Schaltzentrale.
    Der große Saal war ein einziges Flammenmeer. Sina stürzte sich todesmutig hinein. Sie konnte nichts erkennen und wusste auch nicht, ob sie selbst bereits brannte. Alles um sie herum war in Bewegung. Züngelnde Flammen bauten sich vor ihr auf, versperrten ihr den Weg. Sie wich aus, lief einfach in eine andere Richtung weiter. Die Hitze war unerträglich. Sina war sich jetzt sicher, dass die Fahne, in die sie ihren Körper gehüllt hatte, in Flammen stand. Trotzdem rannte Sina weiter.
    Sie gelangte zum Ausgang des Raums. Konnte aber nicht sagen, wie sie ihn erreicht hatte. Unbeirrt kämpfte sie sich voran. Sie hatte die Hoffnung, die brennende Fahne bald von sich werfen zu können, ohne dass sofort auch ihre Kleidung Feuer fangen würde.
    Aber keine Chance: Auch in der nächst höheren Etage tobte das Inferno. Der Teppich und die Holzvertäfelungen der Wände waren ein willkommenes Futter für die Flammen. Die Verkleidung des Korridors brannte lichterloh! Sina richtete ein letztes Mal hektisch die Stofffetzen und stürmte weiter. Doch sie kam nicht schnell genug voran. Ein umgestürzter, brennender Schrank versperrte ihr den Weg, so dass sie stolperte, fiel und sich den Kopf stieß. Tastend fuhr sie sich über die Stirn. Blut! Viel Blut! Sie musste eine Platzwunde haben.
    Sina richtete sich hustend wieder auf, warf das Fahnentuch von sich. Im gleichen Augenblick fegte eine Feuerwalze fauchend über ihren Kopf hinweg. Sina fuhr erschrocken zusammen. Für Sekunden war sie völlig geblendet. Sie rieb sich die schmerzenden Augen.
    In gebückter Haltung tastete sie sich weiter voran. Getrieben vom schieren Überlebenswillen. Sie streckte ihre Finger zur Wand aus. »Nur immer weiter vorwärts!«, bläute sie sich ein. Sie wankte, keuchte, konnte kaum noch ein Bein vor das andere setzen.
    Plötzlich sah Sina ihr Bett vor sich. Nicht das aus ihrer Wohnung. Nein, sie sah ihr altes Bett. Ihr Kinderbettchen, in das sie ihre Mutter immer gelegt und ihr die schönsten Einschlafgeschichten erzählt hatte. Sina erkannte die lustigen Blümchenmuster auf dem gelben Holzrahmen wieder. Und die flauschige Daunendecke mit dem bunten Kinderbezug. Sie ging dichter an ihr Bettchen heran.
    Es war zum Greifen nahe.
    Die Bettdecke war bereits ein Stück weit zurückgeschlagen. Sie musste sich nur noch hineinlegen. Sina bückte sich, um die weiche, zum Ausruhen einladende Matratze spüren zu können. Sie betastete das Laken. Es war angenehm kühl und duftete frisch. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Endlich verschnaufen! Endlich wieder daheim. Sina schlug das Bettlaken weiter zurück.
    Erst jetzt merkte sie, dass ihr Kinderbettchen bereits belegt war. Sie fuhr erschrocken zusammen, rieb sich erneut die Augen. Das Bild, das sie eben noch so klar vor sich sah, verschwamm. Die Vorstellung, ihr Bett vor sich zu haben, schwand schlagartig. Aber diese Person, die es sich unter ihrer Decke gemütlich gemacht hatte, blieb. Sie lag am Boden. Gekrümmt wie ein Embryo.
    Sina gab sich einen Ruck, bückte sich erneut, griff die Gestalt bei den Schultern und drehte dieses regungslose, mit Ruß bedeckte Bündel Mensch vorsichtig herum.
    Vor ihr lag Gabriele.

55
    Uralter Gouda! Wie lange hatte sie keinen mehr gekostet! An der Käsetheke ihres Supermarktes hatten sie ja immer nur jungen oder höchstens mittelalten Gouda, aber niemals uralten. Sie vergötterte den herben, würzigen Geschmack dieses harten, spröden Käse, der auf dem Gaumen zerfiel wie Parmesan. Und dazu diese prächtigen
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