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Disziplinmanagement in der Schulklasse

Disziplinmanagement in der Schulklasse

Titel: Disziplinmanagement in der Schulklasse
Autoren: Gustav Keller
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Unterrichtsstörungen, sondern auch schlimme Gewaltereignisse. So tötete im Jahre 1906 ein Meidericher Volksschüler den Lehrer Lukas, indem er ihm eine Bleikugel auf den Kopf schlug. Und schließlich gab es auch große Suchtprobleme. Exemplarisch hierfür ist der Bericht eines Kölner Lehrers: «Durch auffallende Schläfrigkeit und geistige Trägheit meiner Schulneulinge veranlasst, stellte ich kürzlich montags Nachforschungen unter den sechsjährigen (!) Knaben an: Von den 54 Schülern waren 19 am Sonntag vorher im Wirthaus gewesen; 20 hatten Wein, 24 Bier, 29 Schnaps getrunken; 8 hatten sich erbrechen müssen.»
    Mitte der fünfziger Jahre stellte der Psychologe Karl Friedrich Mierke (1957, S.6) fest, «dass gegenwärtig über ein allgemeines Absinken der Konzentrationsfähigkeit und über ein auffallendes Anwachsen der Konzentrationsschwäche in den Schulen geklagt wird».
    In den sechziger Jahren führte der Pädagoge Hans-Christian Thalmann (1964) eine viel zitierte Studie über Verhaltensstörungen im Grundschulalterdurch, nach deren Ergebnissen die damaligen Grundschulkinder folgendermaßen kategorisiert wurden:
symptomfrei
22 %
leicht symptombelastet
29 %
mäßig symptombelastet
29 %
stark belastet
19 %
Anstaltsfälle
1 %
    Mitte der siebziger Jahre bewertete Hartmut von Hentig (1975) das Verhalten der Schulkinder sehr negativ und besorgniserregend: «Die heutigen Kinder sind ganz offensichtlich die Kinder ihrer Zeit und ihrer Umwelt, sie sind ihr entlarvendster Spiegel. Sie sind nicht nur nervös, ungeordnet …, vital ‹gestört› – sie terrorisieren einander, sie streiten sich ununterbrochen …, sie vandalisieren das Gemeingut, sie sind weitgehend unfähig, anderen und sich selbst Freude zu bereiten, sie scheinen unfähig, tiefere anhaltende Beziehungen zu Menschen oder Sachen einzugehen – und sie müssen ununterbro-chen schreien … Mein Erschrecken darüber war so groß, dass ich nicht glauben wollte, dass ‹Kinder›, ‹heute› ‹so sind›» (S. 32 f.).
    Der Kinderpsychiater Christoph Steinhausen (1982) beklagte am Beginn der achtziger Jahre das starke Ansteigen von Konzentrationsstörungen. Er zog hierzu ein alarmierendes Fazit: «Mangelnde Konzentration, motorische Unruhe und ungesteuertes Verhalten gehören heute zu den häufigsten Klagen von Eltern und Lehrern und führen eine nicht unbeträchtliche Zahl von Kindern in die Sprechstunde von Ärzten und anderen Beratern. Neu an dieser Klage ist weniger die Tatsache als solche, als vielmehr die Intensität und Häufigkeit, mit der die Klage vorgebracht wird» (S. 11.).
    Ende der achtziger Jahre widmete sich der SPIEGEL der Analyse des Schülerverhaltens. In der 1988 erschienenen Cover-Story wurde die Schule als Toll-haus bezeichnet: «Bei den Schülern, da sind sich Lehrer, Eltern und Psycho-logen einig, sinkt die Fähigkeit zur Konzentration, steigt die Angriffslust, fehlen die Geduld und die Lernbereitschaft, erlahmt das Interesse am Unterricht. In Umfragen bestätigen Pädagogen bundesweit, dass Krawalle und Clownerien, Aggression und Apathie in den Klassenzimmern kräftig zunehmen.» (SPIEGEL, Nr. 15, 1988, S. 28).
    Zum gleichen Zeitpunkt führte die Regensburger Erziehungswissenschaftlerin Maria Fölling-Albers (1992) die viel beachtete Studie «Schulkinderheute» durch, um die Auswirkungen der veränderten Kindheit auf Unterricht und Schulleben zu eruieren. Aus der breit angelegten Befragung ging hervor, dass aus Lehrersicht zwei Drittel der Kinder ichbezogener und weniger rücksichtsvoll seien.
    Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts geriet das Schülerverhalten noch stärker in die Kritik. Der STERN stellte 1993 (Nr. 35, S. 25) fest, dass die Schule zum «Albtraum für Schüler, Lehrer und Eltern» geworden sei. Im Fachmagazin PSYCHOLOGIE HEUTE (1993, Nr. 2, S. 58 ff.) war im selben Jahr zu lesen, dass im Klassenzimmer aufgerüstet wird und Gewalt Schule macht. Der SPIEGEL kam 1995 zum Schluss: «Noch nie ist es für Eltern und Lehrer so schwierig gewesen, aus Kindern Erwachsene zu machen.» (SPIEGEL, 1995, Nr. 9, S. 40).
    Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts setzten sich die Negativdiagnosen fort. Angesichts der schwierigen Disziplinsituation bezeichnete der FOCUS (2001, Nr. 15, Titelseite) den Lehrerberuf als Höllenjob. Im Jahr 2006 sendete das Kollegium der Berliner Rütli-Hauptschule einen Hilferuf an die Schulverwaltung. Es beklagte die gravierende Disziplinlosigkeit der Schülerinnen und Schüler: «Unsere
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